Bedrückt lässt Manuela Fischer (59) ihren Blick über die Fotos schweifen, betrachtet die rauen Eisschollen des Brunnifirn-Gletschers. Nostalgie kommt auf: Damals, als das Eisfeld noch meterhoch mit Schnee bedeckt war und bis ganz hoch zum Gipfel reichte. «Seit 30 Jahren schaue ich dem Gletscher jetzt schon beim Schmelzen zu», sagt Fischer zu BLICK.
Die leidenschaftliche Bergsteigerin stapfte an einem Sommertag im Jahr 1989 zum ersten Mal über das Eisfeld, hoch zum Oberalpstock. Die unberührte Natur, nur ihre Fussstapfen im Schnee, das Schweigen – der Gletscher liess Fischer nicht mehr los.
Tour wird wegen Schmelze immer schwieriger
Seitdem verbringt sie die Sommersaison am Brunnifirn und wirtet in der Cavardiras-Hütte des Schweizer Alpen-Clubs (SAC). «Es ist mein zweites Zuhause, die Töchter sind dort oben aufgewachsen», sagt die Grafikerin. Die Fotos an den Wänden ihres Ateliers in Winterthur ZH zeigen die Schönheit des Gletschers aus allen Perspektiven.
Fischer deutet auf eines der Bilder und erzählt: «Früher war der Aufstieg zum Oberalpstock eine einfache Gletschertour. Der Weg führte über das schneebedeckte Eis. Heute muss man über steile Eisfelder laufen oder über sandig-rutschige Felsen, die der Gletscher freigegeben hat. Der Steinschlag macht die Tour in der zweiten Saisonhälfte immer anspruchsvoller.»
Hütte geht das Wasser aus
Dass sich der Brunnifirn zurückzieht, wurde ihr im Hitzesommer 2003 richtig bewusst. Ende Saison war von den Schneemassen nichts mehr übrig, der Gletscher völlig ausgeapert. Aus den Leitungen in der Hütte kam kaum noch Wasser, die Quelle, ein nahe gelegenes Schneefeld, war weggeschmolzen.
Fischer sagt: «Ich hätte das damals gar nicht für möglich gehalten, dachte, es sei eine Ausnahme.» Doch während der nächsten Jahre sollte die Ausnahme immer mehr zur Norm werden. 2017 ging das Wasser komplett aus, ein Helikopter musste einen Tank zur Hütte fliegen. 2018 wurde der Speichertank vergrössert, Ende Saison war trotzdem kein Tropfen mehr übrig.
Die Entwicklung scheint unaufhaltsam. Fischer nimmt das mit: «Ich dachte immer, der Gletscher sei etwas, das für immer da sein wird. Aber jedes Jahr muss ich wieder von einem Bruchstück mehr Abschied nehmen», sagt sie.
«Die Wanderer sind sehr betroffen»
Der Nostalgie zu verfallen, kommt für die Hüttenwartin nicht in Frage. Stattdessen macht sie die Wanderer und Gäste in ihrer Hütte auf den Klimawandel aufmerksam. «Die meisten sind sehr betroffen, wenn sie hören, wie es hier noch vor ein paar Jahren aussah», so Fischer. Ihr Auto hat sie mittlerweile verkauft.
Wenn es weitergeht wie bisher, werden die Schweizer Gletscher unter den stetig steigenden Temperaturen in den kommenden Jahrzehnten ganz verschwinden. Seit 1850 haben sie sich bereits um 60 Prozent zurückgezogen. Nur wenige Augenzeugen erinnern sich, wie gigantisch die Eisfelder einmal waren.
Manuela Fischer wird dem Schmelzen weiter zusehen. Für sie steht fest: «Die Hütte ist und bleibt unsere Oase. Wir halten dort oben die Stellung.»