Longchamps Abgang
Bund hat günstige Umfragen lieber als harte Fakten

Der Abgang von Claude Longchamp als Umfragen-Onkel der Schweiz hat damit zu tun, wie die Schweiz mit Fakten umgeht.
Publiziert: 17.06.2016 um 19:11 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 14:48 Uhr
Politikexperte Claude Longchamp tritt ab.
Foto: STEFFEN SCHMIDT
Petar Marjanovic

Claude Longchamp war jahrelang das Gesicht der schweizerischen Polit-Umfragen. Jeden Abstimmungssonntag stand er mit seinem Markenzeichen – der Fliege – vor den Kameras und kommentierte die Laune und die Meinung des Volkes.

Nun tritt er die operative Führung seines Forschungsinstituts gfs.bern ab. Sein Stuhl als bekanntester Politologe der Schweiz wackelte aber schon länger: Als er in der Nachwahlbefragung zur Masseneinwanderungs-Initiative behauptete, dass nur gerade 17 Prozent der Jugendliche zur Urne gingen, griff er mit seinen Zahlen massiv falsch.

Offizielle Zahlen aus Grossstädten wie St. Gallen oder Winterthur ergaben eine fast doppelt so hohe Stimmbeteiligung bei den unter 30-Jährigen. Sein Ruf geriet in die Kritik. Der Bund sah sich zum Handeln gezwungen und schrieb die Nachwahlbefragungen neu aus. Die Polit-Umfragen werden aber kaum besser werden.

Egal ob sein Nachfolger oder sein Konkurrenten, alle Meinungsforscher werden ein Problem gemein haben: Umfragen werden nie die Realität abbilden können, sie sind fehleranfällig und manipulierbar. Und die Politik toleriert das.

Zuletzt forderte die ehemalige Grüne Nationalrätin Aline Trede, dass Bund und Kantone Stimmausweise statistisch auswerten: Jahrgangs- und Geschlechterstatistiken sollen die Demokratie stärken, indem man Klarheit darüber hat, wer überhaupt sein Bürgerrecht wahrnimmt.

Doch der Bundesrat winkte ab: Der Aufwand sei zu gross. Frei nach dem Motto: Umfragen sind günstiger als Fakten. 

Das hat indes System: Auch die Haushaltsbudgeterhebung wird stichprobenmässig via Telefon ermittelt – eine wichtige Statistik, die darüber aussagt, wie viel wir Schweizer verdienen und ausgeben. Die Gewerkschaften kritisieren seit längerem: Die Ränder der Gesellschaft, sprich die Ärmsten und Reichsten, würden dadurch schlechter abgebildet werden. Trotzdem dient sie bis heute als Grundlage für wichtige politische Entscheide.

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