Herr Gesang, gestern Samstag war es in der Schweiz
20 Grad warm. Darf ich mich darüber freuen?
Bernward Gesang: Da man warmes Wetter im Jahr 2019 nicht ändern kann, ist es das Beste, dass man sich darüber freut. Sich nicht zu freuen, würde es nicht kühler machen. Aber warnen muss es einen gleichwohl.
Greta Thunberg sagt, wir müssten Angst
haben vor der Zukunft. Hilft denn diese Perspektive?
Angst kann ein starkes Motiv sein, aber sie schlägt schnell in Resignation um. Hoffnung und andere Affekte sind auch nicht schlecht.
Darf man überhaupt noch Freude an einer Bratwurst haben? Fleischkonsum ist doch vernichtend fürs Klima!
Wenn es darum geht, bei etwas Falschem nicht mitzumachen und die eigene Würde zu wahren, ist das ehrenvoll und die einzig mögliche Art, sich moralisch zu verhalten. Es klingt für manche aber auch nach dem spassfreien Leben eines Heiligen.
Welches Verhalten wäre in Anbetracht der Klimakrise moralisch richtig?
Spenden Sie geprüften Organisationen! Indem man beispielsweise armen Menschen im Regenwald konkret und langfristig ausgerichtet hilft, schafft man Wege für sie zu überleben, ohne den Regenwald abzuholzen. Das nutzt neben Mensch und Klima auch der Artenvielfalt. Oder man ist der Meinung, schulpflichtige Kinder in Entwicklungsländern zu entwurmen, erziele den besten Mehrfacheffekt.
Inwiefern?
Der häufigste Grund für die Abwesenheit von Kindern im Unterricht sind Wurmerkrankungen. Diese zu unterbinden, ist extrem einfach und billig. Mehr Gesundheit und mehr Bildung helfen sowohl konkreten Individuen wie auch dem Klima. Mit Bildung sinkt die Geburtenrate und es entstehen weniger Menschen, die in Zukunft menschenwürdig versorgt werden müssen. Das senkt den Druck auf weiteres Wirtschaftswachstum mit Klimaschädigung.
Spenden ist also die Lösung – klingt ein wenig nach Ablasshandel...
Bringt man dafür ein Budget im Monat auf, kann man sein Schnitzel erst mal weiter geniessen. Alles auf einmal richtig zu machen, überfordert uns und schreckt mehr Leute ab, als es motiviert.
Wie viel muss ich spenden?
Der Durchschnittsverdiener kann sich sicher ein Prozent seines Jahresverdienstes für Arme und Klima leisten. Drunter ist ihm das Elend in der Welt wohl schlicht egal.
Was halten Sie von der sogenannten Flugscham?
Spenden wir, gewinnen wir Zeit. Zeit, in der wir Techniken entwickeln können, die unsere geliebte individuelle Mobilität erhält, da es dann vielleicht Ökostrom-Elektroautos und alternative Kraftstoffe für Flieger gibt. Natürlich kommt die Zeit, in der wir auch hier auf klimaschädliches Handeln verzichten müssen, aber alles auf einmal anzupacken, ist illusorisch.
Wieso verleugnen so viele Menschen die Klimakrise?
Industrieinteressen plus der Reiz des politisch Unkorrekten, plus der Gedanke, dass das eigene Wohl allein zählt, plus fehlende Vorstellungskraft, dass es auch um die eigene Haut geht.
Ist die ganze Klimabewegung nicht bloss ein Strohfeuer?
Das mag Wunschdenken mancher Leute sein, aber wer etwas auf Wissenschaft gibt, muss es anders sehen. Und vertrauen wir der Wissenschaft nicht alle bei jedem Druck auf den Lichtschalter, da Technik nur wegen Wissenschaft funktioniert?
Bernward Gesang (50) ist Professor für Philosophie mit Schwerpunkt Wirtschaftsethik an der Universität Mannheim (D). Er ist Autor verschiedener Sachbücher, darunter «Darf ich das oder muss ich sogar?» (2017). Darin geht Gesang der Philosophie des richtigen Handelns nach.
Bernward Gesang (50) ist Professor für Philosophie mit Schwerpunkt Wirtschaftsethik an der Universität Mannheim (D). Er ist Autor verschiedener Sachbücher, darunter «Darf ich das oder muss ich sogar?» (2017). Darin geht Gesang der Philosophie des richtigen Handelns nach.