Neun tote Kameraden, zwei davon seine Gäste: Der schlimmste Albtraum von Bergführer Kilian Volken (62) wurde am 12. Juli 2012 auf dem Weg zur Spitze des 4810 Meter hohen Mont Blancs (F) wahr.
Zehn Monate später steht der Walliser erstmals wieder an der Unglücksstelle am «verfluchten Berg», wie der Mont Maudit (4465 m ü. M.) auf Deutsch heisst. Kilian Volken zündet neun Kerzen für seine verstorbenen Kameraden an. «Ich hatte mir im Krankenbett geschworen, an diesen unglückseligen Ort zurückzukehren», sagt er. «Die Kerzen anzuzünden, hilft mir, dieses tragische Ereignis zu verarbeiten.»
Beim schwersten Aufstieg seines Lebens wird Volken vom Schweizer Fernsehen begleitet. Am Fusse des Bergs hält der Walliser inne, benetzt sich mit Weihwasser und bekreuzigt sich. Ein Ritual, das er vor jeder Bergtour macht.
Er träumt jede Nacht vom Unglück
Kilian Volken leidet noch heute unter der seelischen Last, überlebt zu haben. «Ich weiss nicht, warum die Schutzengel ausgerechnet bei mir waren», sagt er. Jede Nacht träume er davon, von einer Lawine überrollt zu werden. «Zu Beginn nahm ich Medikamente, damit ich schlafen kann», sagt er. Er begab sich auch in Psychotherapie. «Aber die beste Therapie ist es, Berge zu erklimmen», sagt er. «Nur so kann ich die Angst loswerden.» Er prüfe heute doppelt und dreifach, ob Lawinengefahr bestehe.
Im Sommer will Volken sämtliche Walliser SAC-Hütten besuchen. Und im Winter wieder einen Achttausender im Himalaya besteigen. «Dieses Ziel baut mich auf.» Vier Achttausender hat er bereits bestiegen, darunter 2004 den Mount Everest. Es ging immer alles gut.
«Während des Sturzes sah ich Bilder meiner Familie»
Bis zu diesem verhängnisvollen 12. Juli 2012. Der erfahrene Bergführer will mit zwei Gästen via den Mont Maudit den Mont Blanc besteigen – den höchsten Berg Europas! Zu seiner Seilschaft gesellen sich später noch sieben andere Bergsteiger. Um fünf Uhr erreicht die Gruppe den Mont Maudit. Urplötzlich löst sich eine Lawine. 200 Meter lang und 100 Meter breit walzt die Schneemasse alles platt, was sich ihr in den Weg stellt. Auch die Seilschaft um Kilian Volken. «Während des Sturzes sah ich Bilder meiner Familie», erinnert sich Volken heute. «Ich nahm Abschied, schloss Frieden mit dem Tod und wurde ganz ruhig.» Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
Als Volken aufwacht, ist sein Körper im Schnee begraben, nur Kopf und Hände schauen heraus. Der Bergführer wurde 350 Meter weit ins Tal gerissen. «Ich war so dankbar, dass ich überlebt habe. Das kann man sich gar nicht vorstellen!»
Zwei Stunden später wird er endlich freigeschaufelt. Kilian Volken erleidet Erfrierungen im Gesicht, an Händen und Füssen. Dazu diverse Brüche – unter anderen zwei Rückenwirbel und sechs Rippen. In der rechten Schulter sind fünf Sehnen abgerissen. Diese muss er nächste Woche zum zweiten Mal operieren. «Die seelischen Schäden des Unglücks sind weit schlimmer als die körperlichen», sagt Volken. Nachdenklich fügt er an: «Aber ich lebe. Und das ist alles, was zählt.»
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