Eminenz, Ostern ist überschattet von islamistischem Terror mit vielen Toten und Verletzten. Was ist Ihre Botschaft an Ostern angesichts des Leids?
Kardinal Kurt Koch: Jesus, dessen Auferstehung wir an Ostern feiern, ist durch Gewalt umgekommen, er war aber selbst gewaltlos. Dass Gewaltlosigkeit und nicht Gewalt Zukunft hat, ist die grossartige Botschaft, die uns Ostern schenkt. Und dass der Tod von Gott zum zweitletzten Wort entmachtet ist und das letzte Wort immer Leben heisst. Diese Botschaft ist aktueller denn je, gerade angesichts der abstrusen und abscheulichen Gewalttaten des IS, der Menschen ohne jeden Unterschied einfach hinmetzelt.
Laut Experten müssen wir uns auf weitere Anschläge einstellen. Was kann die Rolle der Kirche sein, religiöse Gewalt zu überwinden?
Es ist ganz wichtig, dass die Kirchen darauf hinweisen, dass Rache und Hass das Kontraproduktivste sind, das man tun kann. Das provoziert nur neue Gewalt. Der Teufelskreis von Hass und Gewalt lässt sich nicht durch einen anderen Teufelskreis überwinden, sondern nur durch Versöhnung und das Tun des Guten.
Das ist einfacher gesagt als getan.
Ja, aber wir dürfen nicht vor der Angst kapitulieren und resignieren, das verhilft dem Terrorismus erst recht zum Sieg. Wir dürfen die Hoffnung, dass das Böse überwunden werden kann, nie aufgeben.
Benedikt XVI. hat vor rund zehn Jahren das ungeklärte Verhältnis des Islam zur Gewalt zum Thema gemacht – und ist dafür heftig kritisiert worden. War das im Nachhinein fast prophetisch?
Heftige Kritik ist das Schicksal von Propheten, die zu früh warnen. In der Tat hat Benedikt ein grundlegendes Problem angesprochen, das man damals nicht realisieren wollte, das Verhältnis von Religion und Gewalt. Es handelt sich dabei vor allem um einen innermoslemischen Konflikt: Zwischen den extremen Fundamentalisten, die den Koran ganz wörtlich nehmen und zur Gewalt aufrufen, und einem vernünftigen, gemässigten Islam, der sagt, wir können die Texte, wie sie im Koran stehen, nicht wörtlich nehmen, wir müssen sie heute neu übersetzen. Den gemässigten, vernünftigen Muslimen sollten wir helfen, dass sie ihren Weg weiter gehen können – dazu braucht es einen intensiven Dialog. Die Gewalttaten dürfen nicht das Ende des Dialogs sein, sondern wir müssen den Dialog verstärken.
Aber findet diese Debatte über den religiösen Hintergrund der Gewalt statt? Man hat den Eindruck, dass vor allem über Sicherheit und Integration debattiert wird.
Die Verknüpfung von Religion und Gewalt ist eine Perversion von Religion, und das wiederum ist ein Thema, das intensiv öffentlich besprochen werden muss. Das Thema kommt aber in eine Gesellschaft hinein, die die Religion ganz in den Privatbereich abgedrängt hat und kaum mehr in der Öffentlichkeit diskutiert. Es ist in der Tat eine grosse Herausforderung, dass in der Öffentlichkeit neu über Religion nachgedacht werden muss. Eine Gesellschaft, die Religion in den Privatbereich abdrängt, ist letztlich der Aufgabe, mit den Muslimen einen Dialog über Religion zu führen, nicht gewachsen.