Streit um Kantonszugehörigkeit
Sieben Anklagen wegen Wahlfälschung in Moutier

Die umstrittene Moutier-Abstimmung von 2017 hat für zehn Personen ein rechtliches Nachspiel. Sieben von ihnen müssen sich wegen Wahlfälschung vor Gericht verantworten, drei weitere haben einen Strafbefehl akzeptiert.
Publiziert: 27.07.2020 um 10:13 Uhr
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Aktualisiert: 29.07.2020 um 14:04 Uhr
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Die Frage der Kantonszugehörigkeit erhitzt die Gemüter im bernjurassischen Städtchen Moutier seit langem.
Foto: CHRISTIAN BEUTLER

Das teilte die regionale Staatsanwaltschaft Berner Jura-Seeland am Montag mit. Die betroffenen Personen sollen sich an der Abstimmung über die Kantonszugehörigkeit des bernjurassischen Städtchens beteiligt haben, obwohl sie zum Zeitpunkt des Urnengangs gar nicht in Moutier wohnhaft waren.

Mehrheit für Kantonswechsel

Bei der Abstimmung vom 18. Juni 2017 gab es eine knappe Mehrheit für einen Kantonswechsel. 137 Stimmen gaben den Ausschlag. Das bernische Verwaltungsgericht erklärte den Urnengang später wegen teilweise gravierender Unregelmässigkeiten für ungültig.

Das Gericht begründete dies unter anderem mit dem starken Verdacht auf irreguläre Führung des Stimmregisters, fiktive Wohnsitznahme und Abstimmungstourismus. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts wurde rechtskräftig, nachdem die Projurassier auf einen Weiterzug ans Bundesgericht verzichteten.

Abstimmung wird wiederholt

Die Abstimmung soll 2021 wiederholt werden. Das Resultat soll diesmal über alle Zweifel erhaben sein, darin sind sich alle Parteien einig.

Der Kanton Bern nahm in den letzten Monaten das aktuelle Stimmregister der Gemeinde unter die Lupe. Er kam zum Schluss, dass mehrere Dutzend Einträge abgeklärt werden müssen. Das bedeute aber nicht, dass etwas nicht stimme, betonte der Kanton in einer Pressemitteilung von Anfang Juli.

Untersuchungen wegen Wahlfälschung

Unabhängig davon führte die Staatsanwaltschaft seit letzten November insgesamt 16 Untersuchungen wegen Wahlfälschung bei der Abstimmung von 2017. Sechs Untersuchungen wurden mittlerweile eingestellt. In diesen Fällen konnten die Betroffenen nachweisen, dass sie zum Zeitpunkt des Urnengangs tatsächlich in Moutier wohnhaft waren. (SDA)

200 Jahre Jurafrage - Zankapfel nimmt kein Ende

«Die Jurafrage ist abgeschlossen»: Mit diesen Worten kommentierte die Berner Regierung am 18. Juni 2017 das knappe Ja von Moutier zu einem Kantonswechsel. Doch der Jura-Konflikt brodelt weiter - ein Konflikt, der seinen Ursprung im Jahr 1815 hat.

Wie entstand der Konflikt?

«Erklärung des Wiener Congresses vom 20. März 1815 über die Angelegenheiten der Schweiz»: So heisst das Dokument, das am Anfang des Konflikts steht. Sieben Bezirke des Bistums Basel werden darin dem Kanton Bern zugesprochen: Pruntrut, Delsberg, Freiberge, Moutier, Courtelary, Neuenstadt und Laufen.

Bald kommt es zu Spannungen. Die Bevölkerung dieser Gebiete fühlt sich von den gnädigen Herren in Bern vernachlässigt.

Chronologie der Jurafrage

  • In den 1950er-Jahren wird der Protest lauter. Separatisten drängen auf eine Volksbefragung in den sieben jurassischen Wahlkreisen. Ihre Initiative wird von den bernischen Stimmberechtigten abgelehnt.
     
  • Für Bern ist das Thema damit erledigt. Doch es kommt immer wieder zu Demonstrationen und zusehends auch zu gewaltsamen Zwischenfällen. «Der Jura den Jurassiern» lautet die Parole.
     
  • 1970 ergänzt der Kanton Bern seine Verfassung und macht so den Weg frei zu mehreren Jura-Plebisziten. Der Nordjura löst sich von Bern, seit 1979 gibt es den Kanton Jura.
     
  • Die drei südjurassischen Bezirke Courtelary, Moutier und Neuenstadt stimmen hingegen zweimal für den Verbleib beim Kanton Bern. Auch das Städtchen Moutier sagt mehrmals Ja zu Bern, wenn auch nur knapp. Dass der Jura-Konflikt nun beigelegt wäre, erweist sich als Trugschluss: Separatisten im Süden kämpfen unbeirrt weiter für eine«Wiedervereinigung» mit dem Norden.
     
  • In den 1980er-Jahren kommt es zu gewaltsamen Zusammenstössen zwischen Projurassiern und Berntreuen, Bomben- und Brandanschlägen. 1993 stirbt der Separatist Christophe Bader bei einem versuchten Bombenanschlag in Bern.
     
  • Ab den 1990er-Jahren setzt sich der Bund verstärkt für eine Lösung ein. Der Kanton Bern seinerseits ergänzt die Kantonsverfassung und billigt dem Berner Jura eine «besondere Stellung» zu.
     
  • Schliesslich schafft er ein Sonderstatut für den Berner Jura und Welschbiel. Die Gebiete erhalten eine beschränkte Autonomie im Schul- und Kulturbereich. Doch der Kanton Jura und die Projurassier im Kanton Bern wollen mehr, sie streben weiter eine Vereinigung an.
     
  • 2012 einigen sich die beiden Kantone unter Federführung des Bundes darauf, dass die Bevölkerung an der Urne über die Zukunft des Berner Juras entscheiden soll. Im November 2013 sprechen sich die jurassischen Stimmberechtigten klar für einen neuen Kanton aus - doch im Berner Jura wird das Projekt deutlich abgelehnt.
     
  • Allerdings gab es in Moutier eine Mehrheit für den neuen Kanton. Das Städtchen darf daher - wie vorgängig vereinbart - nochmals abstimmen - und entscheidet sich am 18. Juni 2017 mit knapper Mehrheit für den Wechsel zum Jura. Nur: Aus Sicht der Regierungsstatthalterin des Berner Juras verlief der Urnengang nicht korrekt. Am 5. November 2018 erklärt sie die Abstimmung für ungültig. Die Projurassier ziehen den Entscheid umgehend ans bernische Verwaltungsgericht weiter. Dessen Urteil wird aller Voraussicht nach ein Fall fürs Bundesgericht. (SDA)

 

«Die Jurafrage ist abgeschlossen»: Mit diesen Worten kommentierte die Berner Regierung am 18. Juni 2017 das knappe Ja von Moutier zu einem Kantonswechsel. Doch der Jura-Konflikt brodelt weiter - ein Konflikt, der seinen Ursprung im Jahr 1815 hat.

Wie entstand der Konflikt?

«Erklärung des Wiener Congresses vom 20. März 1815 über die Angelegenheiten der Schweiz»: So heisst das Dokument, das am Anfang des Konflikts steht. Sieben Bezirke des Bistums Basel werden darin dem Kanton Bern zugesprochen: Pruntrut, Delsberg, Freiberge, Moutier, Courtelary, Neuenstadt und Laufen.

Bald kommt es zu Spannungen. Die Bevölkerung dieser Gebiete fühlt sich von den gnädigen Herren in Bern vernachlässigt.

Chronologie der Jurafrage

  • In den 1950er-Jahren wird der Protest lauter. Separatisten drängen auf eine Volksbefragung in den sieben jurassischen Wahlkreisen. Ihre Initiative wird von den bernischen Stimmberechtigten abgelehnt.
     
  • Für Bern ist das Thema damit erledigt. Doch es kommt immer wieder zu Demonstrationen und zusehends auch zu gewaltsamen Zwischenfällen. «Der Jura den Jurassiern» lautet die Parole.
     
  • 1970 ergänzt der Kanton Bern seine Verfassung und macht so den Weg frei zu mehreren Jura-Plebisziten. Der Nordjura löst sich von Bern, seit 1979 gibt es den Kanton Jura.
     
  • Die drei südjurassischen Bezirke Courtelary, Moutier und Neuenstadt stimmen hingegen zweimal für den Verbleib beim Kanton Bern. Auch das Städtchen Moutier sagt mehrmals Ja zu Bern, wenn auch nur knapp. Dass der Jura-Konflikt nun beigelegt wäre, erweist sich als Trugschluss: Separatisten im Süden kämpfen unbeirrt weiter für eine«Wiedervereinigung» mit dem Norden.
     
  • In den 1980er-Jahren kommt es zu gewaltsamen Zusammenstössen zwischen Projurassiern und Berntreuen, Bomben- und Brandanschlägen. 1993 stirbt der Separatist Christophe Bader bei einem versuchten Bombenanschlag in Bern.
     
  • Ab den 1990er-Jahren setzt sich der Bund verstärkt für eine Lösung ein. Der Kanton Bern seinerseits ergänzt die Kantonsverfassung und billigt dem Berner Jura eine «besondere Stellung» zu.
     
  • Schliesslich schafft er ein Sonderstatut für den Berner Jura und Welschbiel. Die Gebiete erhalten eine beschränkte Autonomie im Schul- und Kulturbereich. Doch der Kanton Jura und die Projurassier im Kanton Bern wollen mehr, sie streben weiter eine Vereinigung an.
     
  • 2012 einigen sich die beiden Kantone unter Federführung des Bundes darauf, dass die Bevölkerung an der Urne über die Zukunft des Berner Juras entscheiden soll. Im November 2013 sprechen sich die jurassischen Stimmberechtigten klar für einen neuen Kanton aus - doch im Berner Jura wird das Projekt deutlich abgelehnt.
     
  • Allerdings gab es in Moutier eine Mehrheit für den neuen Kanton. Das Städtchen darf daher - wie vorgängig vereinbart - nochmals abstimmen - und entscheidet sich am 18. Juni 2017 mit knapper Mehrheit für den Wechsel zum Jura. Nur: Aus Sicht der Regierungsstatthalterin des Berner Juras verlief der Urnengang nicht korrekt. Am 5. November 2018 erklärt sie die Abstimmung für ungültig. Die Projurassier ziehen den Entscheid umgehend ans bernische Verwaltungsgericht weiter. Dessen Urteil wird aller Voraussicht nach ein Fall fürs Bundesgericht. (SDA)

 

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