«Ich will meine Stimme zurück», schreibt die deutsche Journalistin Anuschka Roshani (56) im aktuellen «Spiegel». Der Film «She Said» über Hollywood-Monster Harvey Weinstein (70) habe ihr die Kraft gegeben, ihre eigene #MeToo-Geschichte zu erzählen.
Roshani arbeitet von 2002 bis 2022 als Redaktorin beim «Magazin» des Zürcher Tamedia-Verlags, der auch den «Tages-Anzeiger» herausgibt. Und dass sie aus Deutschland stammt, ist in dieser Angelegenheit nicht unerheblich.
«Verwendete ich ein deutsches, in der Schweiz unübliches Wort wie ‹Kekse› statt ‹Guetzli›, zeichnete er mir Hakenkreuze an den Rand meiner Manuskripte», schreibt Roshani über ihren damaligen Chefredaktor Finn Canonica (57). Und weiter: «Nachdem wir in einer Konferenz über Rassismus geredet hatten, sagte er zu mir: ‹Ihr Deutschen hättet die doch eh alle gleich vergast.›»
Die Sprüche kamen der Journalistin doppelt schräg rein, weil sie Halbperserin sei.
Es blieb nicht beim Deutschen-Mobbing, schreibt Roshani. Auch als Frau wurde sie angegriffen: «Super Heft! Vielen lieben Dank! Obwohl du eine Frau bist, hast du brilliert! Lg», habe ihr Canonica geschrieben, nachdem sie ein Sonderheft verantwortet hatte.
Aussagen, Chatnachrichten und Dokumente liegen vor
Laut «Spiegel» liegen der Redaktion Aussagen ehemaliger Kolleginnen und Kollegen, Chatnachrichten, Korrespondenz und Dokumente vor, die die Vorwürfe stützen und plausibel erscheinen lassen.
In Mitarbeitergesprächen, in denen sie ihren Chef wiederholt gebeten habe, sachlich mit ihr umzugehen, forderte Canonica Anerkennung und Lob.
Roshani erinnert sich: «Als ich meine Verwunderung darüber ausdrückte, herrschte er mich an, er wolle meine Liebe gar nicht – wenn er Liebe wolle, gehe er zu einer Nutte.»
Hinter ihrem Rücken «die Ungefickte» genannt
Und es wurde immer schlimmer: Nachdem sie den Fraumünster-Pfarrer für eine Recherche getroffen hat, habe Canonica sie als «Pfarrermätresse» bezeichnet. Hinter ihrem Rücken habe er sie vor einer Kollegin «die Ungefickte» genannt, weil ihr Mann «einen kleinen Schwanz habe». Wer zum «Inner Circle» der Redaktion gehören wollte, musste zudem Details aus Canonicas Sexleben anhören, «egal ob sie oder er es wollte».
So geht es weiter und weiter in Roshanis Text. Die sexistischen Sprüche und das Mobbing seien «systematisch» gewesen. In Meetings habe der Canonica «fast touretteartig» das Wort «ficken» benutzt.
Auch als sich Roshani bei der Tamedia-Führung beklagte, sei nichts passiert – trotz Frauenbriefen sowie stundenlangen Gesprächen mit Chefs und Anwälten. Laut Roshani habe man ihr unterstellt, Gerüchte in die Welt zu setzen, damit sie Canonicas Posten bekomme.
Im Juni 2022 hat Finn Canonica das «Tagi-Magi» nach über 20 Jahren, davon 15 als Chef, verlassen. Sein Vize übernahm. Im September folgte die Kündigung für Anushka Roshani. Darauf hat sie Tamedia wegen «sexistischer Diskriminierung und Mobbing» verklagt.
«Tamedia hat Vorwürfe sehr ernst genommen»
Sowohl der Verlag als auch der Ex-Chefredaktor wollten auf einzelne Fragen des «Spiegels» nicht antworten – er liess dem Wochenmagazin stattdessen eine Stellungnahme zukommen. Mit dieser hat ein Sprecher auch auf eine Anfrage von Blick geantwortet. Darin steht: «Tamedia hat die Vorwürfe von Frau Roshani sehr ernst genommen und akribisch prüfen lassen. Der Konflikt zwischen Frau Roshani und Herrn Canonica war Gegenstand einer von Tamedia in Auftrag gegebenen externen Untersuchung durch eine spezialisierte Kanzlei. Die Untersuchung des Falles ergab, dass sich die von Frau Roshani in diesem Zusammenhang geäusserten Vorwürfe zu einem grossen Teil nicht bestätigten.»
Canonicas Anwalt schreibt: «Die Vorwürfe treffen nicht zu und werden vehement bestritten.» Laut einem Sprecher habe «Herr Canonica sich letzten Sommer schliesslich entschieden, Tamedia zu verlassen.»
Roshani will weiterkämpfen: «Ich will die Hoheit über mein Leben zurück.»