Japan erlaubt Geburt von Mischwesen aus Mensch und Tier
«Das könnte Zehntausende Leben retten»

Japanische Forscher dürfen in Tieren menschliche Organe heranzüchten. Bioethiker David Shaw (42) erklärt, warum er den Entscheid begrüsst – und wieso ihm die Medizin der Zukunft keine Angst macht.
Publiziert: 04.08.2019 um 00:06 Uhr
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Aktualisiert: 05.08.2019 um 09:42 Uhr
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David Shaw, Bioethiker an der Universität Basel.
Interview: Thomas Schlittler

In Japan ist es künftig erlaubt, in Tierembryos menschliche Organe heranzuzüchten. Was halten Sie davon?

David Shaw: Die Nachricht war keine Überraschung für mich. Schon seit Jahren wird mit Hybrid-Embryos geforscht, auch in westlichen Ländern wie den USA und Grossbritannien. Aus ethischen Gründen wurden solche Experimente bis jetzt jeweils nach wenigen Wochen abgebrochen. Die Japaner haben nun erlaubt, solche Tier-Mensch-Embryos bis zur Geburt austragen zu lassen. Es ist richtig, diesen Schritt zu wagen. Die Japaner haben gute Absichten!

Und die wären?

Weltweit gibt es einen riesigen ­Mangel an Organspenden. Alleine in Grossbritannien sterben pro Tag drei Menschen, weil sie vergeblich auf eine Organspende warten. In der Schweiz haben wir das gleiche Problem. Das Ziel der Japaner ist es, diesen Mangel zu beheben und eine neue Quelle für menschliche Ersatzorgane zu schaffen. Und nicht nur eine neue Quelle, sondern gar eine bessere.

Wieso sollen Organe, die in Tieren herangezüchtet werden, besser sein als Organspenden von Menschen?

Weil sie aus meiner eigenen DNA bestehen. Die Stammzellen, die dereinst in den Tier-Embryo eingepflanzt werden sollen, stammen von der Person, die das Organ braucht. Dadurch verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Körper das eingesetzte Organ abstösst. Wer heute ein Organ von einer anderen Person erhält, muss ein Leben lang Medikamente schlucken, damit sein Körper dieses akzeptiert.

Bio- und Medizinethiker

David Shaw (42) ist schweizerisch-britischer Doppelbürger und forscht an der Universität Basel am Institut für Bio- und Medizinethik. Sein Schwerpunktgebiet ist die Ethik der Organspende. Er ist Autor des Buchs «Genetic Morality» und hat mehr als 100 Artikel für führende Fachzeitschriften
in den Bereichen Ethik, Medizin und Wissenschaft veröffentlicht.

David Shaw (42) ist schweizerisch-britischer Doppelbürger und forscht an der Universität Basel am Institut für Bio- und Medizinethik. Sein Schwerpunktgebiet ist die Ethik der Organspende. Er ist Autor des Buchs «Genetic Morality» und hat mehr als 100 Artikel für führende Fachzeitschriften
in den Bereichen Ethik, Medizin und Wissenschaft veröffentlicht.

Wie lange wird es dauern, bis das erste auf diese Weise geschaffene Organ bei einem Menschen eingepflanzt wird?

Schwierig zu sagen. Die Forschung befindet sich noch in einem sehr frühen Stadium. Es ist sogar noch unklar, in welchem Tier menschliche Organe herangezüchtet werden könnten. Die Forscher hoffen auf Schweine, es könnten aber auch Menschenaffen nötig sein. Einige Wissenschaftler sagen, in etwa zehn Jahren könnten wir erste Organe haben, die tatsächlich bei einem Menschen eingesetzt werden können. Das klingt nach Science-­Fiction. Aber wenn das Experiment erfolgreich ist, könnte das jährlich Tausende, vielleicht sogar Zehntausende Leben retten. Oder je nach Organ zumindest die Lebensqua­lität von Schwerkranken stark verbessern.

Sie reden vor allem über die Chancen. Doch welche Gefahren birgt das Experiment?

Einige haben Angst, dass sich die menschlichen Stammzellen im Tier ausbreiten könnten. Dass also zum Beispiel ein Schwein mit leicht menschlichen Zügen entstehen wird. Aufgrund der bisherigen Forschung scheint das aber unrealistisch. Zudem würde man das bereits in einem em­b­ry­o­nalen Stadium merken. Weiter gibt es Befürchtungen, dass durch die Einsetzung ­eines Organs, das in einem Tier gewachsen ist, Krankheiten auf den Menschen übertragen werden könnten.

Wie beurteilen Sie das Experiment aus ethischer Sicht?

Das Grundproblem ist klar: Für jedes Organ, das dereinst auf diese Weise herangezüchtet werden könnte, müsste ein Tier geopfert werden. Doch was ist der bessere Grund, ein Tier zu töten: ein lebenswichtiges Organ für einen Menschen oder ein Stück Fleisch auf dem Teller? Dieses Problem könnte sich aber von selbst erledigen, denn es wird auch daran geforscht, Organe im Labor zu erstellen – ganz ohne Tiere. Beim Fleisch ist das bereits gelungen.

Was sagen Sie Leuten, die es generell ablehnen, mit menschlichen Genen zu experimentieren?

Mit religiösen Argumenten wie «Wir sollen nicht Gott spielen» kann ich wenig anfangen. Meiner Meinung nach ist auch der Mensch ein Tier, einfach ein spezielles. Zudem ist das Missbrauchspotenzial bei diesem Experiment weniger gross als beispielsweise bei den sogenannten Crispr-Babys, wo Gene manipuliert werden könnten, um beispielsweise die Augenfarbe zu ändern oder die Intelligenz zu erhöhen.

Vor einigen Monaten sorgte ein chinesischer Forscher für Aufsehen, der die Gene von zwei Babys manipuliert hat. Die Japaner machen nun beim Heranzüchten von Organen vorwärts. Haben die Asiaten weniger Hemmungen als Europäer und Amerikaner?

Das kann man so nicht sagen. Die Fälle lassen sich nicht vergleichen. Das Vorgehen – beziehungsweise der Alleingang – des chinesischen Forschers bei den Crispr-Babys war tatsächlich sehr fragwürdig. Die ­Japaner dagegen arbeiten sehr transparent. In der Schweiz wäre es sicher nicht möglich gewesen, die Erlaubnis für ein solches Experiment zu erhalten. Die Regulierung ist etwas strenger, die ethischen Bedenken grösser. Grundsätzlich dürften die meisten Länder aber froh sein, dass die Japaner nun den Weg bereiten.

Sind die Menschen heute skeptischer gegenüber der modernen Medizin beziehungsweise dem wissenschaftlichen Fortschritt?

Die Menschen waren schon immer skeptisch. Beim Impfen zum Beispiel sind es einige bis heute – obwohl Impfen nachweislich schon unzählige Leben gerettet hat. Die Vorteile der modernen Medizin werden schnell übersehen.

Babys mit manipulierten Genen, künstliche Organe – was kommt als Nächstes? Müssen wir Angst haben?

Nein, Angst sollten wir keine haben. Aber wir sollten vorsichtig und bedacht bleiben. Grundsätzlich sind wir aber auf einem guten Weg.

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