Freitagmorgen, 8.50 Uhr, Universitätsspital Zürich. Antreten zum Rapport. «Was haben wir?», fragt die Tagesleiterin knapp in die Runde. «Ein Patient ist spastisch, hat Mühe, sich zu artikulieren.» – «Und weiter?» – «Die Chemotherapie meiner Patientin: Wir wissen noch nicht, ob sie in die Studie kommt. Wir warten mal ab.» – «Ist das alles?» – «Ich hätte noch freie Kapazität.» – «Gut!» Die Pflegefachkräfte, ein Team aus zehn Angestellten, nicken unisono. Rapport beendet.
Wir befinden uns im achten Stock, auf der interdisziplinären Privatstation im Westflügel des Universitätsspitals Zürich. In dieser Abteilung mit 18 Betten werden Patienten mit komplexen Krankheitsbildern der Inneren Medizin, Infektiologie und Onkologie gepflegt und therapiert.
Auch wer am Coronavirus erkrankt und stationär behandelt werden muss, landet hier. Derzeit werden sechs infizierte Patienten betreut.
«Alle sind stabil», sagt Abteilungsleiterin Sabrina Greiner (35) im Gespräch mit SonntagsBlick. Bis jetzt sei die Lage ziemlich ruhig, bis jetzt dominiere Corona die tägliche Arbeit nicht. Noch nicht und nicht mehr.
Allerdings sind die Erinnerungen an die «sehr herausfordernde Zeit» im Frühjahr noch frisch. Damals, als man wenig über das neuartige Virus wusste. «Die Verunsicherung war gross. Wir trugen Vollmontur, Angehörige durften ihre Liebsten nicht besuchen und Patienten wurden komplett isoliert», erzählt Greiner.
«Routine hat sich eingespielt»
Das sei heute anders. «Es hat sich eine gewisse Routine eingespielt. Wir wissen besser, welche Therapien wirken, wie die Patienten gelagert werden müssen und wie wir uns selbst vor dem Virus schützen, ohne gleich in Raumanzüge steigen zu müssen.» Enorme Erleichterungen.
«Denn der psychische Druck und die physische Belastung am Anfang der Pandemie waren unheimlich gross.» Man war auch, so Greiner, Seelsorger für die Angehörigen. Jetzt sind Besuche unter Einhaltung der Hygieneregeln und auf Distanz wieder erlaubt.
Was gleich bleibt: die psychologische Betreuung. So hören Pflegefachkräfte von den an Covid-19 Erkrankten oft die Frage, ob sie nun sterben müssten. «Darauf haben wir keine Antwort», sagt Greiner.
Die Personen, die derzeit am Universitätsspital gegen Covid-19 behandelt werden, sind überwiegend älter als 60 Jahre. Die meisten sind Männer. Für die nächsten Wochen erwartet die Abteilungsleiterin eine steigende Anzahl Hospitalisationen. Man sei vorbereitet, versichert Greiner.
Doch die Lage spitzt sich zu. Gleichentags meldete die kantonale Gesundheitsdirektion 715 neue Fälle – mehr als doppelt so viele wie am Donnerstag.
Immer mehr Hospitalisierungen
Der Trend lässt keine Zweifel offen: Landesweit steigt die Anzahl von Menschen, die wegen Corona ins Spital müssen. Gemäss Bundesamt für Gesundheit liegt die Zahl der Hospitalisierten im Schnitt der letzten sieben Tage bei über 20 Personen, fast 80 Prozent mehr als in der Vorwoche. Am Freitag registrierte das BAG fünf Todesfälle und 68 Spitaleinweisungen.
Epidemiologen rechnen damit, dass die Hospitalisierungen angesichts der explodierenden Neuinfektionen rasant steigen. Typischerweise geschieht dies aufgrund der Inkubation erst mit einer Verzögerung von einer bis zwei Wochen.
Martin Ackermann (49), Professor für Mikrobiologie an der ETH Zürich und Leiter der nationalen Corona-Taskforce, forderte an der Experten-Medienkonferenz vom Freitag deshalb so schnell wie möglich eine flächendeckende Maskenpflicht in Innenräumen, die Rückkehr ins Homeoffice und weitgehende Beschränkungen bei Veranstaltungen.
12'000 Fälle pro Tag
Ackermann geht von einer deutlichen Zunahme der Neuinfektionen aus. Falls die einschränkenden Massnahmen nicht sofort umgesetzt werden, rechnet er in den kommenden Wochen mit 12'000 Ansteckungen – täglich.
Wie am Freitag ebenfalls bekannt wurde, trifft sich der Bundesrat heute Sonntagvormittag zu einer dringlichen Corona-Sitzung. Die Landesregierung wird voraussichtlich die Forderungen der Taskforce in der neuen Covid-Verordnung festlegen. Bereits am Montag sollen die neuen Massnahmen in Kraft treten.
Hugo Sax (64) stellt fest, dass sich Bund und Kantone zu lange geziert haben, die bei der Bevölkerung «unpopulären» Massnahmen zu ergreifen. «Wir hinken dem Virus hinterher und verlieren damit wichtige Zeit, die wir später nicht mehr aufholen können», so der leitende Arzt an der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene des Unispitals Zürich zu SonntagsBlick.
Bei einem exponentiellen Wachstum der Infektionsraten brauche es für jeden Tag, den man nicht nutze, immer drastischere Massnahmen, um das Virus einzudämmen.
Politik braucht viel Zeit
Eigentlich wisse man schon lange, was auf die Schweiz zukommt, meint Sax: «Wir haben die Modelle, wir kennen die Zahlen, wir wissen, wo die Cluster sind. In Bars, in Clubs, auf der Arbeit und zu Hause.» Einen Grund für die Zögerlichkeit der politischen Elite sieht Sax im komplexen «Entscheidungsgeflecht». Das komme dem Virus entgegen.
Sax: «Es müssen viele Aspekte abgewogen werden, Interessen der Wirtschaft, der Politik und letztlich der Gesundheit. Das Ringen um eine einvernehmliche Lösung nimmt in unserem föderalistischen System viel Zeit in Anspruch.»
Die Folgen dieser Trägheit des politischen Systems wurden diese Woche besonders anschaulich, als sich das Spital Schwyz mit einem dramatischen Appell an die Bevölkerung wandte: Die Entwicklung der Fallzahlen im Kanton sei dramatisch. Jeder zweite Covid-19-Test, den man durchführe, sei positiv. Spitaldirektorin Franziska Föllmi (41): «Wenn das so weitergeht, können wir das nicht mehr stemmen.»
Mit Engpass ist zu rechnen
So dramatisch wie im Kanton Schwyz ist die Lage sonst nirgendwo in der Schweiz. Grosse Spitäler wie Bern, Genf oder Zürich haben ihre Kapazitätsgrenzen noch lange nicht erreicht. In den kommenden Wochen ist daher kaum mit einem nationalen Engpass zu rechnen.
Sabrina Greiner vom Universitätsspital Zürich: «Drei Sachen sind wichtig – genug Material, genug Personal, genug Räumlichkeiten.» Von alledem habe man in Zürich genug. «Wir wissen unterdessen, was wir tun», sagt sie und macht sich an die Arbeit.
«Tragen Sie Masken! Gehen Sie an keine Feste und tauschen Sie sich nur geschützt aus, wo möglich nur in kleinen Gruppen und in der Familie.» Mit diesem Appell richtete sich Franziska Föllmi, Direktorin des Spitals Schwyz, direkt an die Bevölkerung.
«Tragen Sie Masken! Gehen Sie an keine Feste und tauschen Sie sich nur geschützt aus, wo möglich nur in kleinen Gruppen und in der Familie.» Mit diesem Appell richtete sich Franziska Föllmi, Direktorin des Spitals Schwyz, direkt an die Bevölkerung.
«Tragen Sie Masken! Gehen Sie an keine Feste und tauschen Sie sich nur geschützt aus, wo möglich nur in kleinen Gruppen und in der Familie.» Mit diesem Appell richtete sich Franziska Föllmi, Direktorin des Spitals Schwyz, direkt an die Bevölkerung.