In der SBB-Kantine Milchchuchi gibt es immer etwas zu essen
Die 24-Stunden-Heimat der Bähnler

Seit 100 Jahren verpflegt die Erstfelder «Milchchuchi» Bähnler zu jeder Tages- und Nachtzeit – direkt vor der Fahrt zum Gotthard.
Publiziert: 17.05.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 02:06 Uhr
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Seit bald 100 Jahren werden hier die Bähnler rund um die Uhr mit einer warmen Mahlzeit versorgt.
Foto: PHILIPPE ROSSIER
Adrian Meyer (Text) und Philippe Rossier (Fotos)

Das Besteck klappert, das Geschirr scheppert im Häuschen mit den braunen Schindeln. Gleich neben den Geleisen des Bahnhofs Erstfeld UR duckt es sich an eine Mauer. Im ­Innern der Milchchuchi stehen Menschen in orange­farbenen Overalls Schlange. Viele bärtige, dickbäuchige Kerle. Hinter dem Tresen schöpft ihnen Manuela Lüönd (39) Pommes frites auf die Teller, dazu Chicken Nuggets oder ein Schnitzel und Gemüse. Ein währschafter Bähnler-Zmittag. Fr. 9.50 kostet das Menü 1 für SBB-Mitarbeiter, Fr. 13.50 für Externe. Den Kaffee gibt es für günstige Fr. 2.80. Um die Mittagszeit sind alle Tische besetzt.

Seit bald 100 Jahren bekommen hier Bähnler rund um die Uhr eine warme Mahlzeit. Heute ist die Milchchuchi in Erstfeld die letzte durchgehend geöffneten Kantine der SBB. Im ganzen Land baut die SBB ihre Kantinen ab. Auch die Milchchuchi sei schon öfter totgeredet worden, sagt Manuela Lüönd. Die Urnerin führt die SBB-Kantine seit fünf Jahren. «In dieser Zeit wurde die Milchchuchi für viele zur Heimat.»

Hier treffen sich Lokführer, Bahnnostalgiker, pensionierte Bähnler und Gleisarbeiter auf einen Kafi und einen Schwatz, um mal wieder über Verspätungen zu klagen und – natürlich – über die bevorstehende Eröffnung des Basistunnels zu fachsimpeln. Die Tessiner sitzen stets am Tessinertisch, die Basler am Baslertisch. Und wehe, jemand isst sein Zmittag am falschen Ort. «Früher gab es deshalb manchmal Schlägereien», sagt Lüönd.

Einsam im Führerstand

«Wir sind meist den ganzen Tag einsam in unserem Führerstand», sagt Lokführer Ewald Berchtold (54). «Da ist es toll, gemeinsam über etwas zu schimpfen – das ist unsere Form der Zuneigung.»

Noch sind nicht alle am Mittagstisch überzeugt, dass der neue Gotthardtunnel tatsächlich zu der erhofften Kapazitätssteigerung im Güterverkehr führen wird. Der Personenverkehr werde schon wieder bevorzugt, sagt einer. 2000 Tonnen wollten die im Tunnel an die Züge hängen, sagt ein anderer, das sei viel zu viel. Und natürlich sind die Lokführer wehmütig, dass sie bald nicht mehr über die schöne Bergstrecke fahren können. «So eine Röhre ist viel langweiliger», sagt Bähnler Berchtold.

Die Milchchuchi befindet sich nicht zufällig in Erstfeld. Hier übergeben die Gotthard-Lokführer ihre Züge weiter an einen Kollegen. Denn sie dürfen maximal fünf Stunden am Stück fahren – und in dieser Zeit ist die Strecke von Basel nach Chiasso mit dem Güterzug nicht zu schaffen. Darum braucht es ­einen Ort, wo man zu jeder Tageszeit eine Mahlzeit bekommt.

Bald halten die Züge nicht mehr in Erstfeld, sondern fahren direkt durch den Basistunnel. Und damit dürften in der Milchchuchi nachts die Lichter ausgehen. «Aber weniger Gäste erwarte ich nicht», sagt Lüönd. «Es läuft doch gut für uns.»

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