Jan rüttelt am Gartenhag, reisst ein Stück Holz ab und springt damit davon, so schnell er kann. Ein grosser Bauernhof in Oeschenbach BE ist sein Zuhause, umgeben von Wiesen und Wanderpfaden. Saskia (26) und Michael (31) Neuenschwander schauen ihrem Dreijährigen lachend hinterher.
Als er geboren wurde, mussten sie um sein Leben bangen. Jan kam viel zu früh auf die Welt, in der 25. Schwangerschaftswoche. Bei der Geburt wog er nur 605 Gramm und gehörte damit zur Gruppe der «sehr frühen Frühgeborenen», wie es die Ärzte nennen. Diese Kinder haben eine Überlebenschance von rund 80 Prozent, doch vier von fünf Babys tragen bleibende Schäden davon. Nicht so der kleine Jan.
«Wir sind so dankbar, dass es ihm heute gut geht», sagt Michael Neuenschwander. Jans Eltern heirateten, als Saskia im sechsten Monat schwanger war. «Wir feierten auf dem Hof mit 70 Personen ein Fest. Ich merkte, dass ich ungewöhnlich viel Wasser in den Beinen hatte», erinnert sie sich. «Meine Füsse schmerzten so stark, dass ich die Hochzeitsschuhe nicht anziehen konnte.»
Am Tag nach der Hochzeit fährt die Schwangere ins Regionalspital in Burgdorf BE. Die Ärzte diagnostizieren eine Schwangerschaftsvergiftung. «Sie konnten mir nicht sagen, wieso ich die Vergiftung hatte», sagt Saskia Neuenschwander.
Der Zustand des Babys ist kritisch. «Sie spritzten mir Kortison, damit seine Lungen anfangen zu arbeiten.»
Am gleichen Tag wird sie ins Inselspital Bern verlegt. Die Ärzte untersuchen sie den ganzen Nachmittag lang. «Sie hatten Bedenken, weil Jan so klein war», sagt die Mutter. Abends um halb sechs betreten etwa zehn Personen in weissen Kitteln ihr Zimmer. «Die Herztöne des Kleinen wurden immer schwächer.» Das Leben des Babys ist in Gefahr! Saskia Neuenschwander: «Die Ärzte mussten sofort einen Kaiserschnitt machen.»
Nach achtzig Tage nach Hause
Bei seiner Geburt ist Jan nur 33 Zentimeter gross. Seine Lungen sind noch nicht fertig ausgebildet. «Es ging alles so schnell, wir hatten noch nicht einmal einen Namen für ihn», erinnert sich Michael Neuenschwander. «Als ich ihn zehn Minuten nach der Geburt mit einer Beatmungsmaske auf einem Schragen liegen sah, war seine Haut fast durchsichtig. Wir konnten uns nicht richtig freuen, zu gross war unsere Angst.»
Für die Ärzte beginnt der Kampf um das Leben des kleinen Jan, für die Eltern eine Zeit der grossen Ungewissheit. «Als er mit den ganzen Schläuchen im Brutkasten lag, hatte ich Tränen in den Augen», sagt der Vater. «Eine Pflegerin beruhigte mich. Sie sagte, das Baby habe einen harten Kopf und einen starken Überlebenswillen.» Sie hatte recht.
Nach einer Woche kann Saskia Neuenschwander das Spital verlassen. Sie tritt den Heimweg ohne ihr Baby an. Jeden Tag besucht sie ihren Sohn auf der Station für Frühgeborene. Jan wird durch eine Magensonde ernährt. «Das Schlimmste war, dass wir nie wussten, wie es ihm am nächsten Tag geht», erinnert sie sich.
Als Jan nach rund anderthalb Monaten zum ersten Mal fünf Milliliter Milch aus einem Schoppen trinkt, sind die Eltern überglücklich. Jan entwickelt sich prächtig. Achtzig Tage nach der Geburt darf er nach Hause. Er wiegt nun 2,5 Kilo.
Heute ist Jan ein lebhafter kleiner Bub, geht ein Mal pro Woche eine Stunde lang in die Frühförderung.
«Er kann sprechen und entwickelt sich normal», sagt seine Mutter. «Und er ist ungeduldig. Wenn er etwas nicht bekommt, kann er 50 Minuten lang deubbele.» Jan, das ehemalige 605-Gramm-Baby, ist heute ein wahres Energiebündel.