Hüttenwart: «Meine Frau hat sie gewarnt»

Publiziert: 17.09.2006 um 21:28 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2018 um 20:21 Uhr
von selina luchsinger
ZERMATT – Übermut und Verwegenheit sind tödlich am Berg. Wieder starben am Matterhorn zwei Alpintouristen – ausgerüstet waren sie nur mit einer dünnen Jacke und Trekkingschuhen.

Der Notruf geht Donnerstagnacht um 23 Uhr ein: Vier Bergsteiger, zwei Frauen und zwei Männer Mitte zwanzig, sitzen fest. Unterhalb der Solvayhütte, auf 4000 Meter über Meer.

Der Wind pfeift mit über 100 km/h um die Felswände des Horu. Es ist stockdunkel und schneit. «Wir konnten nicht fliegen. Der Sturm tobte viel zu stark», sagt Bruno Jelk (65), Air-Zermatt-Rettungschef.

Immer wieder versuchen Jelk und seine Leute die vier jungen Polen zu erreichen, «um ihnen zu sagen, sie sollen dort bleiben, bis Rettung naht.» Aber deren Handy funktioniert nicht. «Der Akku war wohl leer», mutmasst Jelk.

Die vier haben offensichtlich Angst, dass keine Hilfe kommt. So machen sich die Männer bei tosendem Schneesturm auf. Nur mit Trekkingschuhen, ohne Steigeisen. Im Stockdunkeln über den von Eis und Schnee glatten Fels.

Sie versteigen sich in der Ostwand. Einer macht einen Fehltritt und stürzt 200 Meter tief. Sein Partner bleibt am Seil hängend zurück, nur mit einer dünnen Jacke bekleidet – er erfriert noch in dieser Nacht.

Am Freitagmittag fliegt Rettungschef Jelk mit acht beherzten Bergführern zur Hörnli-Hütte. Weiter kommt er mit seinem Helikopter nicht. «Der Schneesturm tobte noch immer. Es war so schon gefährlich – auch für den Suchtrupp.»

Nach rund anderthalb Stunden finden die Bergretter die zwei Frauen. Sie sind unterkühlt und völlig erschöpft und müssen über den eisglatten Fels bis zur Hütte getragen werden. Jelk fliegt sie sofort ins Spital. Dort stellen die Ärzte Erfrierungen an Händen und Füssen fest. Ihre toten Kameraden können erst am Samstag geborgen werden.

Hätten sie bloss auf Hüttenwartin Rebecca Lauber gehört. «Sie biwakierten ausserhalb der Hütte. Meine Frau versuchte sie noch davon abzuhalten, allein aufzusteigen», sagt Hüttenwart Kurt Lauber. «Die waren so schlecht ausgerüstet.»

Die jungen Leute wollen nicht hören. Sie machen sich am Dienstag um vier Uhr früh auf den Weg zum Gipfel auf 4478 Meter. «Normalerweise sind die Bergsteiger gleichentags spätestens um 16 Uhr in der Hütte», erklärt Lauber. Die Polen aber fehlen zweieinhalb Tage später immer noch.

Bis dahin schlägt das Wetter um. Und die vier stecken in eisiger Nacht fest.

«Meine Frau hörte sie noch rufen», sagt Lauber. «Man fragt sich nach so einem tragischen Bergunfall immer, hätten wir noch mehr tun können», sagt Rettungschef Jelk. «Aber manchmal sind wir einfach machtlos.»

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