Hühner sind beliebt, aber nicht geliebt
Unsere namenlosen Freunde

Das Huhn ist viel mehr als eine günstige Eiweissquelle, es ist auch ein faszinierendes, vielfältiges Wesen. Zu Ostern eine Ode an das beliebteste Haustier, dem wir mit so wenig Liebe begegnen.
Publiziert: 11.04.2020 um 11:36 Uhr
Zu Ostern eine Ode an das Huhn – das beliebteste Haustier, dem wir mit so wenig Liebe begegnen.
Foto: shutterstock
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Andrea Staudacher und Simon Jäggi

Es ist Ostern, und es riecht nach Gas. Nach den Feiertagen haben die ausgelaugten Legehennen ihren Dienst getan und werden entsorgt. Für die Tötung fährt die mobile Begasungsanlage auf dem Hühnerbetrieb vor, der bis zu 18 000 Tiere fassen darf. Ein Franken pro totes Huhn. Die Kadaver werden für die Produktion von Biogas verwendet – Suppenhühner kauft kaum jemand mehr. Kein Wunder, wenn die importierte Pouletbrust 1.40 Franken pro hundert Gramm kostet.

Wir wollen Ihnen das Osterei nicht verderben. Aber schauen Sie sich morgen das farbige Oval noch kurz an, bevor Sie es tütschen. Ist es nicht ein Wunderwerk der Natur? So filigran und doch so stabil. Für die Kelten stand am Anfang der Welt nicht das Wort, sondern das Ei.

Die Realität ist hart

Jedes einzelne Ei ist ein Meisterwerk. Da sind wir den Erschaffern immerhin etwas schuldig – einen Blick auf ihre Realität zu werfen: In der Schweiz produzieren laut Bundesamt für Landwirtschaft jährlich 4,5 Millionen Legehennen über eine Milliarde Eier. Die 784 Millionen Eier, die der Detailhandel verkauft, stammen zur Hälfte von Hühnern, die in ihrem kurzen Leben nie einen frischen Grashalm gesehen haben.(Bodenhaltung und Import). Weltweit ist noch immer die Käfighaltung die wichtigste Haltungsform, welche die Schweiz 1982 als eines der ersten Länder verboten hat.

Hühner in der Natur legen fünf Eier pro Jahr. Eine Legehenne produziert 300 Eier – eine enorme Leistung. Nach 18 Monaten ist die Henne ausgezehrt.

Namen wie Staubsauger

Das Huhn ist das häufigste Nutztier der Welt. 20 Milliarden Haushühner leben gleichzeitig auf der Welt – drei Mal mehr als Menschen. Das beliebteste Haustier? In Zahlen ja, in Sachen Zuneigung und Respekt nicht. «Wenn man Geld sparen will, muss man halt gewisse Abstriche machen», kommentiert ein Kunde in der Bewertung der M-Budget-Pouletbrust. Abstriche machen vor allem die Hühner.

Das Huhn bietet ideale Voraussetzungen, um genutzt, benutzt zu werden. Da es Eier legt, können wir viel leichter ins Leben eingreifen. Riesige Brütereien produzieren täglich bis zu einer halben Million kleine Küken. Leben, die wenig gelten. Die Rassen der Hybridhennen tragen Namen, als wären sie Staubsauger oder Putzmittel. Cobb500 zum Beispiel.

Schweizer Punks im Hühnerhof

Es gibt aber auch eine andere Realität – und die ist viel erfreulicher. Wenn wir aus dem Fenster blicken, sehen wir in unserem Garten drei Mechelner, die einem Wurm nachjagen. Es handelt sich um eine Zweinutzungsrasse. Das heisst: Sie weisen nicht nur eine solide Legeleistung auf, ihr Fleisch schmeckt auch vorzüglich. Früher galten die Mechelner Kuckucke als Delikatesse. Allerdings können diese alten Rassen in keiner Weise mit den hochgezüchteten Mast- und Legehühnern mithalten, daher sind viele beinahe verschwunden. Dank Organisationen wie Pro Specie Rara haben alte Rassen überlebt und finden neue Liebhaber.

Die Vielfalt ist verblüffend, welche die Zucht von Haushühnern hervorgebracht hat. Alleine in Europa existieren 180 Rassen von Haushühnern. Die Schweiz verfügt über drei eigene Rassen. Erstaunlich ist, dass die Punks im Hühnerhof aus der Schweiz stammen – die Appenzeller Spitzhauben. Sie sollen bereits im 15. Jahrhundert in Klöstern der Alpen gezüchtet worden sein.

Hühner sorgen für Action

Besonders angetan haben es uns Ayman Cemani, die komplett schwarz sind. Federn, Kamm, Knochen und sogar das Fleisch. Aber da ist auch das wunderschön gefärbte Schwedische Blumenhuhn. Da ist der Kosovarische Langkräher, der auch die tolerantesten Nachbarn vergraulen wird. Da sind Araucana und Marans, die wunderbar türkisgrüne und schokoladenbraune Eier legen. Da sind die kugelrunden und handzahmen Cochin, als deren Züchterin Queen Victoria herself gilt. Da sind Ostfriesische Möwen, Bergische Schlotterkämme oder Annaberger Haubenstrupphühner.

Am liebsten hätten wir alle, wären die Platzverhältnisse nicht begrenzt. Aber auch in der Stadt reicht ein kleines Gärtchen, um zwei, drei Tiere zu halten. Mit Hühnern wirds nie langweilig. Eine Henne hat irgendwas gefunden in der Wiese, die ganze Herde eilt herbei. Stets wird um die Hackordnung gestritten. Und am Abend ruft die Chefin zum Abmarsch in den Stall.

Kein Ei gleicht dem andern

Küchenabfälle verwerten sie zuverlässig, auch für Dünger wird stets gesorgt. Und das Schönste: Jeden Tag liegt ein Ei im Nest, manchmal sogar zwei oder drei. Mal klein, mal gross. Nie gleichförmig, gleichfarben oder gleichschmeckend.

Überlegen Sie sich, ein Haustier zuzulegen? Katzen gibt es schon zur Genüge im Quartier, und Meerschweinchen mögen es gar nicht, gestreichelt zu werden. Warum nicht Hühner? Die Kinder erleben hautnah, wie Leben entsteht. Wie kostbar ein Ei ist. Unsere Hühner lassen sich auf den Schoss nehmen und streicheln. Man kann sogar Spiele mit ihnen spielen. Hühner sind nämlich viel schlauer, als wir es ihnen zutrauen, sagt die Wissenschaft.

Universum des Lebens im Schnelldurchlauf

Auch das Schlachten gehört für uns dazu. Es waren schwere Momente, die sieben aufgezogenen Hähne zu töten. Wir haben versucht, respektvoll und schnell vorzugehen. Und wir sind sicher: Wer selber schon mal ein Huhn geschlachtet hat, wird ein Chicken Nugget nie mehr achtlos verschlingen.

Ein Ei, ein Küken, eine Henne, ein Poulet. Hühnerhalten bedeutet, das ganze Universum des Lebens im Schnelldurchlauf zu beobachten. Und jetzt: viel Glück beim Tütschen! Mit den eigenen Eiern gewinnen Sie übrigens immer.

Hühnerhalter: Der Sänger und die Insektenköchin

Andrea Staudacher (31) und Simon Jäggi (40) sind ein Paar und gemeinsame Hühnerhalter. Staudacher ist Ereignis-Designerin und bekannt als Insektenköchin. Jäggi schreibt im BLICK die Kolumne «Wild im Herzen», ist Sänger der Band Kummerbuben und arbeitet beim Naturhistorischen Museum Bern.

Andrea Staudacher und Simon Jäggi sind selber Hühnerhalter.

Andrea Staudacher (31) und Simon Jäggi (40) sind ein Paar und gemeinsame Hühnerhalter. Staudacher ist Ereignis-Designerin und bekannt als Insektenköchin. Jäggi schreibt im BLICK die Kolumne «Wild im Herzen», ist Sänger der Band Kummerbuben und arbeitet beim Naturhistorischen Museum Bern.

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Andrea Staudacher (31) und Simon Jäggi (40) sind ein Paar und gemeinsame Hühnerhalter. Staudacher ist Ereignis-Designerin und bekannt als Insektenköchin. Jäggi schreibt im BLICK  die Kolumne «Wild im Herzen», ist Sänger der Band Kummerbuben und arbeitet beim Naturhistorischen Museum Bern.

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