Homeschooling macht Schule
Ihre Schule ist ein Wunschkonzert

Die Kinder der Familie Toth aus Milken BE gehen nicht zur Schule. Sie lernen nur, wenn sie Lust haben und was sie gerade interessiert.
Publiziert: 02.07.2017 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 07:15 Uhr
Anatol Toth im Geigenhimmel
2:31
Der junge Violinvirtuose berührt Herzen:Anatol Toth im Geigenhimmel
Aline Wüst

Sie hat jedes ihrer Kinder zwei Jahre lang gestillt. Und während sie ihnen die Brust gab, spielte Judith Toth (38) ihnen auf der Geige vor. Sie habe das nicht getan, um ihre Kinder zu etwas Besonderem zu machen, sagt die Mutter. Doch genau das sind sie nun: Wunderkinder, die an Musikwettbewerben im In- und Ausland Preis um Preis gewinnen. Zur Schule hingegen gehen die vier Geschwister nicht. Sie lernen zu Hause. Aber nur das, worauf sie Lust haben.

Es ist Mittwochmorgen. Anouk (7) schleppt eine Turnmatte in die Stube, übt Kunststücke. Manoush (11) turnt eine Weile mit, setzt sich dann aber lieber ans Klavier. Anatol (13) steht barfuss da, macht ein paar Züge auf dem Schachbrett und verschwindet wieder im Kinderzimmer.

Die kindliche Neugierde reicht ihnen zum Lernen

Das Zuhause der Familie ist ein Bauernhaus in Milken BE, gefüllt mit In­strumenten, Büchern, getrockneten Kräutern und Kinderzeichnungen. Judith und Pedro Toth sitzen am Esstisch, sagen: «Zum Lernen brauchen unsere Kinder kein Schulzimmer und keinen Lehrplan.» Kindliche Neugierde reiche. Langeweile kennen die Kinder nicht. Im ­Gegenteil: Es sei schmerzhaft zu realisieren, dass die Zeit nicht ausreiche, um alles zu tun, worauf sie Lust hätten. «Müssten sie in die Schule, bliebe noch weniger Raum dafür», sagt Pedro Toth.

Der Kanton Bern hat seinen Segen zu diesem ungewöhnlichen Lernmodell gegeben. Gelernt wird beim sogenannten Unschooling überall: Das blaue Blümchen, das Manoush auf der Wiese vor dem Haus pflückt, will sie später zu Hause malen, den Namen herausfinden, Gemeinsamkeiten mit anderen Blumen suchen. Am Ende weiss sie, was Doldenblütler sind. Geschichte lernen die Geschwister anhand von Komponisten-Biografien.

Pedro Toth sagt: «Unsere Kinder wollen wissen, aus welchen Leben die Musik entsprang, die sie so lieben.» Wenn sie es wünschen, geben die Eltern Inputs, helfen Bücher und Informationen zu finden – auch im Internet. Anouk brachte sich das Einmaleins als Fünfjährige bei: Stundenlang liess sie den Hula-Hoop-Reifen kreisen, während sie Zahlen in einen kleinen Rechner tippte. Ihre grosse Schwester Manoush lernte selbständig lesen, weigerte sich aber zu schreiben. Niemand drängte sie. Eine Tages wollte sie der Mutter ein Gedicht zum Geburtstag schenken, studierte dafür mit ihrem Vater die verschiedenen Versmasse und schrieb dann ein Sonett.

Vater Pedro zeigt das Gedicht gern. Er verbirgt nicht, wie stolz er ist. Auch auf Anatol. Der hat kürzlich Englisch gelernt, weil er mit seiner Schachpartnerin sprechen will, einer Inderin. Zurzeit lernt er mit einem Internetprogramm Türkisch, um seinen besten Freund zu überraschen. «Ich mag Sprachen einfach.»

Wie lange müssen Ihre Kinder täglich üben?
Judith Toth: Unsere Kinder müssen nicht. Sie wollen. Wir würden es sogar begrüssen, wenn die Kinder mehr spielen und weniger üben würden. Sie müssen ihr Leben nicht auf dem Altar der klassischen Musik opfern. Ihre Kindheit ist uns heilig.

Warum gehen Anouk, Manoush und Anatol nicht in die Schule?
Pedro Toth: Wir haben zuvor in Spanien gelebt, unsere Kinder sind dort nicht zur Schule gegangen. In der Schweiz hat es sich dann auch so ergeben. Wir glauben, dass in jedem Kind etwas Besonderes steckt. Zu Hause können wir dem gerecht werden.

In der Schule geht das nicht?
Pedro Toth:Die Schule krankt am zwanghaften Notensystem. Sie teilt Kinder mit Noten in sogenannt schlaue und nicht so schlaue Schüler ein. Die Kinder lernen dadurch bloss, ihre Schwächen zu verstecken und mit Halbwissen zu blenden. So züchten wir Narzissten.

Lernen Ihre Kinder alles?
Judith Toth:
Unschooling bedeutet Mut zur Lücke und Vertrauen zu haben. Als ein Kind Anatol kürzlich auslachte, weil er eine Hauptstadt nicht kannte, zählten wir als Zeitvertreib bei der nächsten Autofahrt alle Hauptstädte auf. Jetzt kennen die Kinder alle europäischen Hauptstädte und fragen sich, warum Volksschüler wochenlang brauchen, um das zu lernen.

Haben Ihre Kinder Freunde?
Pedro Toth:
Wir kämpfen schon gegen die Isolation. Unsere Kinder haben kaum Kontakt zu Gleichaltrigen im Dorf. Wir sind anders als die Familien hier. Freunde haben die Kinder ausserhalb des Dorfs.

Am erfolgreichsten von den Toth-Wunderkindern ist Anatol, der Älteste. Er hat in den letzten vier Jahren am Schweizerischen Jugendmusikwettbewerb jeden Wettbewerb mit Auszeichnung gewonnen. Zurzeit übt er für die Menuhin Competition 2018, den weltweit renommiertesten Wettbewerb für junge Violinsolisten.

In den Sommerferien besucht er Meisterkurse, einmal in der Woche reist er allein mit dem Zug an die Musikhochschule nach Basel. Dort erhält er Geigenunterricht bei Professorin Barbara Doll. Die Violinistin hat drei Ausnahmetalente getroffen – Anatol sei eines davon. «Solches Talent ist rar. Ich würde mir die allergrössten Vorwürfe machen, wenn ich Anatol nicht mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln fördern würde.»

Auf den Schweizer Violinisten Etienne Abelin wirkt Anatol reif für sein Alter, in seiner Art komplett, mit sich im Lot, selbstbewusst und ausdrucksstark, wie es viele Erwachsene zwar anstreben, aber selten sind. «Eine Inspiration auch für mich», sagt Abelin.

Anatol will die Menschen berühren

Anatol selber will kein Wunderkind sein. Berühren wolle er die Menschen mit seiner Musik und nach seinem Können und nicht nach seinem Alter beurteilt werden.

Ausgleich zur klassischen Musik bietet der Gemüsegarten. Alle müssen mithelfen. Aus praktischen Gründen: Der Garten hilft, Geld zu sparen. Unschooling sei ein idealistisches Projekt, die Musikausbildung auf diesem Niveau extrem kostspielig. Pedro Toth: «Die klassischen Bildungsinstitutionen können mit Kindern ausserhalb der Norm grundsätzlich wenig anfangen, egal, ob hoch- oder tiefbegabt.» Seit letztem Jahr unterstützen nun aber private Förderer und Stiftungen die Ausbildung der Kinder. «Trotzdem wird es Ende Jahr finanziell extrem eng», sagt Judith Toth. Extern zu arbeiten, sei neben der aufwendigen Betreuung ihrer Kinder allerdings nicht möglich.

Zum Zmittag reibt Pedro Toth jedem seiner Kinder eine grosse Portion Käse über die Tomatenspaghetti. Auch Ronja (16) sitzt am Tisch. Sie ist die älteste Tochter der Toths. Sie macht keine Musik und ist soeben von der Schule nach Hause gekommen. Auch sie war eine Unschoolerin, seit zwei Jahren aber nun glückliche Volksschülerin. Ronja mag es, strukturiert und organisiert zu lernen. Ganz im Gegensatz zu ihren drei Geschwistern. Die beobachten gerade eingehend eine Spinne, die über den Stubenboden krabbelt.

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