Langsam läuft Hashime Islami (20) auf den Bahnübergang Thalbrücke in Balsthal SO zu. Beim Gleis legt sie ein weisses Rosengesteck in den Schnee. Ihre Hände zittern. «Ich bin sicher, die hätten unserem Engel gefallen», sagt sie.
Der Engel ist ihre Schwester Hasie († 17). Heute vor einem Jahr beendete ein grässlicher Unfall ihr junges Leben: Über Mittag will die Stiftin aus Brunnen SZ ihren Freund besuchen. Zu Fuss überquert sie den Bahnübergang und merkt mit Musik im Ohr nicht, dass ein Zug der Oensingen-Balsthal-Bahn (OeBB) heranfährt. Die Lok erfasst Hasie, sie stirbt im Spital.
BAV bleibt untätig
Gestern trauerten die Mutter, die Schwestern und Freunde von Hasie gemeinsam am Unfallort. Hashime wischt sich eine Träne weg: «Ich bin nicht nur traurig, sondern auch wütend. Seit einem Jahr hat sich hier nichts verändert, eine Frechheit!»
Nach dem Unfall bestätigte das Bundesamt für Verkehr (BAV), dass der Übergang nicht gesetzeskonform ist. Die Barriere blockiere zwar die Autofahrer, die Fussgänger gingen aber ungesichert auf die Gleise. OeBB und BAV versprachen, den Fehler zu beheben.
Ein Jahr später steht dort noch nicht einmal ein neues Warnsignal. BAV-Sprecher Andreas Windlinger: «Die OeBB will den Übergang Thalbrücke im laufenden Jahr sanieren und die Trottoirs mit vier neuen Barrieren sichern.» Die Planung einer Umfahrungsstrasse habe den Umbau verzögert.
Der Lokführer war abgelenkt
«Wir fühlen uns verarscht. Genau das Gleiche hat man uns schon vor einem Jahr versprochen», so Hashime. Auch das Verfahren der Staatsanwaltschaft gegen den Lokführer stockt. «Spezialisten untersuchen immer noch den Unfall. Dabei hat der Lokführer längst ausgesagt, dass er abgelenkt war. Ich hoffe, er kommt ins Gefängnis. Denn er hat unsere Familie zerstört», so Schwester Ilsa (24). Sie kämpft noch heute mit Schlafproblemen. «Wenn es dann endlich klappt, spreche ich im Traum mit Hasie. Über den Job, die Liebe, über alles.» Dann versagt Ilsas Stimme.
Hashime nimmt ihre ältere Schwester in den Arm. «Unser Engel wollte heiraten, hatte eine neue Stelle bei der Migros. Sie war immer so lebensfroh», sagt sie. «Was muss denn noch alles passieren?», fragt Hashime. «Die Behörden sollen endlich handeln. Hasies Tod darf nicht umsonst gewesen sein!»