Hier lässt es sich leben
Der linkste Fleck der Schweiz

Der Stadtzürcher Kreis 4/5 ist eine Hochburg der Linken, das beweisen die Kantonsratswahlen. Früher war das Quartier als Müllhalde der Stadt bekannt, heute erfreut es sich einer hohen Attraktivität: Architekten, Werber, Bars und Restaurants zieht es in Scharen an.
Publiziert: 16.05.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 18:48 Uhr
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Politiker: Die Nationalräte Alfred Heer (SVP) und Martin Naef (SP) kennen den Zürcher Kreis 4 seit Jahrzehnten.
Foto: Michele Limina
Von Nico Menzato

In diversen Kantonen kam es kürzlich zu einem Rechtsrutsch. Die Bügerlichen sind im Aufwind, Rot-Grün zittert den eidgenössischen Wahlen entgegen.

Es gibt aber einen Ort, an dem sich die Linke keine Sorgen machen muss: Der Stadtzürcher Kreis 4/5 ist der linkste Fleck der Deutschschweiz. Bei den Zürcher Kantonsratswahlen im April erreichten SP, Grüne und Alternative Liste zusammen einen Wähleranteil von 64,5 Prozent. Die drei bürgerlichen Parteien SVP, FDP und CVP, die national eine Mehrheit stellen, werden hier nur von jedem Fünften gewählt. Der Rechteste der fünf Kantonsräte im Wahlkreis 4/5 ist ein Grün-liberaler!

Totale Linksregierung

Könnten die Einwohner des Stadtteils im Westen Zürichs über die Schweiz bestimmen – sie sehe gänzlich anders aus: Die SVP-Masseneinwanderungs-Initiative wäre mit fast 80 Prozent abgeschmettert worden, Ecopop sogar mit 90 Prozent. Linke Ideen hingegen fänden locker Mehrheiten. So dürfte in der Schweiz die Lohnspanne in einer Firma noch maximal ein Verhältnis von 1:12 haben, Pauschalsteuern wären überall verboten, die Wehrpflicht abgeschafft und es gäbe nur noch eine öffentliche Krankenkasse. Und: Wir hätten eine totale Linksregierung mit je zwei Vertretern der SP, der Alternativen Liste und der Grünen sowie einem Grünliberalen.

Alfred Heer (53) ist im Kreis 4 aufgewachsen – und lebte fast ein halbes Jahrhundert hier. Der SVP-Nationalrat sagt: «Linke werden herangezüchtet.» Von überallher strömten sie in die mit Steuergeld subventionierten Wohnungen. Die Gewerbler hingegen zögen weg. So werde die Gegend immer stärker zum «Mekka der Linken».

Auch SP-Nationalrat Martin Naef (44), der seit 20 Jahren im Quartier wohnt, sagt: «Der Stadtteil zieht viele politisch links stehende Studenten an.» Zudem bevölkerten ältere Arbeiter und Angestellte die vielen Genossenschaften. Der SP-Mann bezeichnet seinen Wohnort als «sozialste, urbanste, multikulturellste, toleranteste und kulturinteressierteste» Gegend der Schweiz.

«Chreis Cheib»

Sicher ist: Der Wahlkreis 4/5 mit seinen jungen Bewohnern (Durchschnittsalter 38) aus 140 Nationen und einem Ausländeranteil von 37 Prozent war die Keimzelle der Sozialdemokratie und der Arbeiterbewegung. Auch weil er lange die Müllhalde der Stadt war. Das Siechenhaus, der Hinrichtungsplatz oder der Galgenhügel standen in Aussersihl. Auch Tierkadaver – früher «Cheib» genannt – wurden hier verbrannt. Deshalb heisst die Gegend im Volksmund bis heute Chreis Cheib. Später bevölkerten dann Fremdarbeiter, Prostituierte, Drogensüchtige und Randständige die Gegend – und dies bis heute.

Aber längst nicht nur. Die Gegend floriert: Auf die knapp 43 000 Einwohner kommen 12 471 Firmen. Darunter viele kleine Büros von Architekten, Werbern und Beratern.

Und Gastrobetriebe! In den 817 Restaurants, Bars und Take-aways und Clubs finden knapp 4000 Personen Arbeit. Der Wahlkreis 4/5 ist nicht nur landesweit die Hochburg der Linken. Sondern auch der Partygänger.

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