Tausendmal ist Valentino Borgonovo (47) bereits mit der Seilbahn gefahren. Nie ist etwas passiert. «Ich dachte, das Ding ist sicher, hatte nie Angst», sagt der gebürtige Italiener. «Jetzt schlottern mir die Knie, wenn ich nur an die Gondel denke.»
Die Fahrt von Montag wird er nie vergessen. Gegen 18.35 Uhr begibt sich der Schreiner zur Seilbahnstation von Landarenca GR. In dem abgelegenen Ort des Calancatals, nur zu Fuss oder über die Seilbahn zu erreichen, hat er wieder mal seine Freundin besucht. Jetzt will Borgonovo nach Selma GR hinunterfahren, etwas aus dem im Tal parkierten Auto holen. Er steckt das Ticket in den Automaten, steigt ein. Er ist in der computergesteuerten Vierergondel allein. Seit fünf Jahren besucht er seine Freundin regelmässig und weiss: Sechs Minuten dauert die Fahrt. Normalerweise. Doch diesmal nicht.
Wie durch ein Wunder unverletzt
«Plötzlich war da ein ohrenbetäubender Schlag», erinnert sich der Schreiner. «Dann wurde die Kabine wie bei einem Beben geschüttelt. Ich versuchte einen klaren Kopf zu behalten.» Die Seilbahn ruckelt über die Stütze, dann sinkt sie plötzlich rapide bergab. «Der Trägerarm war gebrochen. Nur das Zugseil hielt die Bahn noch.»
Doch das ist zu schwach. «Ich sah den Boden auf mich zukommen.» Borgonovo reagiert, bevor die Gondel auf dem Boden aufprallt. «Ich riss die Türen auf, setzte mich auf das Trittbrett und sprang ins Leere.» Der Tischler landet auf einem abschüssigen Wiesenstück. «Dass ich unverletzt blieb, ist ein Wunder. Denn der Hang ist steil. Streckenweise schwebt die Seilbahn auf über 80 Metern Höhe. Hätte ich gezögert, wäre ich mit der Gondel aufgeschlagen. Das hätte ich nicht überlebt.»
Zu Fuss stolpert er
Ironie des Schicksals: Einen Tag nach dem Drama verletzt sich der Schreiner leicht am Kopf, als er wegen der defekten Seilbahn – wie derzeit alle Bewohner von Landarenca – zu Fuss in den Ort aufsteigt und stolpert.
Rodolfo Keller (73), Gemeindepräsident von Arvigo und damit von Landarenca, ist sprachlos: «So einen Schaden haben wir noch nie gesehen. Wir müssen prüfen, ob ein Materialfehler vorliegt. Die Seilbahn gibt es zwar schon seit 1962. Doch die Gondeln sind von 2004 und auf dem letzten Stand. Für kommenden Montag war eine Wartung vorgesehen.»
Für Borgonovo wird es künftig nicht leicht: «Ich habe meine Freundin oben im Ort, werde also wieder Seilbahn fahren. Wenn auch mit weichen Knien.»