Gewaltforscher zu Attacken gegen Polizisten
«Die Respektlosigkeit nimmt massiv zu»

Der Gewaltforscher Thomas Bliesener (56) von der Universität Kiel (D) hat die erste umfassende Studie zu Gewalt gegen Polizisten verfasst und 14'000 Beamte in Deutschland befragt.
Publiziert: 17.03.2015 um 13:56 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 20:57 Uhr
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Herr Bliesener, warum nehmen die Aggressionen gegen Polizisten zu?
Thomas Bliesener: Die Distanz zwischen Bürger und Polizei schwindet, die Respektlosigkeit im Umgang mit Amtspersonen nimmt massiv zu. Was früher kaum vorstellbar war, ist heute fast Alltag: Polizisten werden geschlagen, geschubst und getreten. Verletzungen werden dabei in Kauf genommen.

Auch die verbale Aggression gegen Polizisten wächst.
Die Entwicklung bei den nicht tätlichen Übergriffen auf Polizisten ist besonders dramatisch. Beleidigungen und Bedrohungen haben zugenommen. Etwa indem ein Tatverdächtiger aus organisierten Kreisen bei der Einvernahme dem Polizisten sagt: «Deine Tochter trug heute Morgen auf dem Schulweg aber ein schönes rotes Kleidchen.» Das ist nicht einmal strafbar und wirkt auf den Polizisten meist belastender als eine körperliche Attacke.

Was lässt sich über die Angreifer sagen?
Teils sind es Randalierer, die an Grossveranstaltungen wie Sportanlässen Gewalt suchen. Häufig entstehen aber brisante Situationen durch das alltägliche Aufeinendertreffen von Bürgern mit der Polizei, etwa bei Personenkontrollen auf der Strasse oder bei Streitereien in Privatwohnungen, zu denen die Polizei ausrücken muss. Sind in solchen Fällen auch noch Alkohol und Drogen im Spiel, kann die Lage schnell eskalieren.

Gemäss Ihrer Studie leiden Polizisten, die von Gewalt betroffen sind, unter psychischen Problemen wie Reizbarkeit und Schlafstörungen. Was raten Sie ihnen?
Wichtig ist die psychologische Aufarbeitung der belastenden Situation, die Auseinandersetzung mit der Ursache für die Angst oder das Trauma. Dafür reicht häufig schon der Erfahrungsaustausch mit Dienstkollegen. Diese informelle Unterstützung hilft am besten. Die Polizei verfügt zudem über professionelle psychosoziale Dienste, die aber noch besser in den Dienstalltag integriert werden können.

Was kann die Polizei gegen die zunehmende Aggression tun?
Sie kann Extremsituationen trainieren und sich aus- und weiterbilden. Ein Patentrezept gibt es jedoch nicht, weil jede Situation anders ist.

Nimmt die Gesellschaft die Probleme der Polizei zu wenig wahr?
Das öffentliche Bild des Polizisten ist klischeebehaftet und stimmt mit der Realität nicht überein. Das Fernsehen zeigt den freundlichen und lächelnden Polizisten, welcher die Situation souverän meistert. In Wahrheit ist dieser oft hilflos und überlastet, und der polizeiliche Alltag ist voller Probleme, Konflikte und Gefahren.

Greift die Justiz hart genug gegen Chaoten und Demonstranten durch, welche Polizisten angreifen?
Das Gesetz an sich genügt, aber es muss konsequent angewendet werden. Häufig verlaufen Verfahren im Sande.

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