Chantal Hofstetter (24) wirkt stark und selbstbewusst. Sie hat keine Scheu, ihre Geschichte zu erzählen. Doch tiefe Narben an ihren Armen zeugen von einer schwierigen Vergangenheit.
Ihre Leidensgeschichte mit mehr als 30 Klinikaufenthalten begann mit Druck in der Schule im Zürcher Säuliamt, der Trennung der Eltern, als die talentierte Fussballerin erst 13 Jahre alt war: «Mir wurde alles zu viel», sagt Chantal über die Zeit, als sie begann, sich zu «ritzen». Mit 14 kommt sie wegen eines Asthmaanfalls ins Spital. Die Ärzte finden heraus: körperlich ist alles in Ordnung – die Anfälle sind psychosomatisch. Vermutlich leidet das Mädchen an einem Borderline-Syndrom.
Betroffene der schweren Störung kämpfen mit extremen Gefühlsschwankungen, Essstörungen und Suizidgedanken – den gleichen Symptomen, die auch Chantal zu schaffen machen. Die Mediziner suchen fieberhaft nach einem Therapieplatz. Doch alle sind belegt. Erst nach knapp zwei Monaten eröffnet sich eine Möglichkeit – im Kanton Thurgau. Chantal erinnert sich: «Ich wurde aus meinem Umfeld gerissen, war fortan abgestempelt.»
Hilfe erst nach Suizidversuch
Als sie nach einem halben Jahr entlassen wird, weil die Krankenkasse nicht mehr zahlen will, versucht Chantal, sich das Leben zu nehmen. Sie kommt in eine geschlossene Einrichtung – für Erwachsene. Sie teilt sich ein Zimmer mit vier älteren Frauen, ein etwa 50-jähriger Patient belästigt die damals 15-Jährige: «Ich hatte das Gefühl, dass etwas passieren muss, bevor man reagiert!»
Jüngste Studien im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit zeigen: Insbesondere in der Kinder- und Jugendpsychiatrie herrscht ein dramatischer Platzmangel. 24 Prozent der befragten Landärzte bezeichnen die Versorgungslage als schlecht bis sehr schlecht. Fehlende Fachkräfte und Ineffizienz des Angebots führten zu langen Wartezeiten. Eine zweite Studie, erst im August veröffentlicht, plädiert für mobile Angebote, um wenigstens eine minimale Versorgung sicherzustellen.
Philipp Ramming, Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychologie, findet gegenüber SonntagsBlick deutliche Worte: «Weil Betroffene bis zu einem halben Jahr auf Therapie warten müssen, werden Erkrankungen in der Zwischenzeit chronisch und verschlimmern sich sogar.» Aber: «Verüben Jugendliche einen Suizidversuch, wird ihnen sofort geholfen.»
Abrechnungsmodell als Behandlungshürde
Die Privatisierung von Angeboten habe den Fachkräftemangel in der Psychiatrie verschärft. Ein Wechsel im Abrechnungssystem, so Ramming, könne den Notstand lindern, denn das heutige Modell mache Psychologen von Ärzten abhängig. So sei es üblich, dass Psychologen ihre Therapien als Angestellte in Arztpraxen oder Kliniken anbieten.
Sabine Schläppi von der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen hält eine Änderung des Abrechnungsmodells für dringend erforderlich, weil damit der Versorgungsengpass bei Psychotherapien in der Schweiz behoben werden könnte: «Heute müssen psychisch angeschlagene Menschen zum Teil Wochen oder gar Monate auf einen Behandlungstermin warten.» Schuld daran sei das sogenannte Delegationsmodell, nach dem Psychologen ihre Leistungen nur als Angestellte in einer Arztpraxis erbringen dürfen – unter der Verantwortung eines Arztes. Schläppi: «Diese Zugangshürden verhindern eine schnelle Behandlung.»
Mangel an Psychologen
In manchen Regionen der Schweiz jedoch funktioniert die Versorgung von psychisch Kranken sogar in entlegenen Regionen. In Graubünden etwa stellen die psychiatrischen Dienste im kantonalen Auftrag eine Versorgung mittels dezentraler Standorte sicher. Doch wie deren Verwaltungsrat Fadri Ramming, der Bruder von Philipp Ramming, einschränkt, können sie ihre Stellen nur mit Mühe besetzen: «Das Problem wird sich für uns in den nächsten Jahren wohl noch verschärfen. Hinzu kommt, dass viele privat tätige Psychologen in Pension gehen und auch dort der Nachwuchs fehlt.»
Am Ende fand Chantal Hofstetter einen dauerhaften Platz in einer therapeutischen Wohngruppe im Kanton Bern. Hier fühlte sie sich wohl, wurde gesund und schaffte später eine Ausbildung zur Restaurationsfachfrau. Heute arbeitet und wohnt sie in Bern und absolviert zusätzlich eine Ausbildung zum Peer. Das heisst, sie soll mit ihren Erfahrungen zwischen Patientinnen und Psychologen vermitteln und so die Heilungschancen erhöhen. Auch sie findet, dass es mehr Therapieangebote in den Regionen braucht. «Heute werden Betroffene aus ihrem Umfeld gerissen und stigmatisiert – für sie wird es damit noch schwerer, wieder gesund zu werden.»
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