Fotograf Thomas Lüthi hat eine seltene Fehlbildung überlebt
Flug zurück ins Leben

Thomas Lüthi blickte dem Tod ins Gesicht. Nach der Hirnoperation lenkt er heute sogar ein Flugzeug.
Publiziert: 05.11.2016 um 10:58 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 13:30 Uhr
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Lüthi auf dem Flugfeld: «Ich bin jedes Mal dankbar, dass ich hier sein darf.»
Katja Richard

Den Abend vor der Operation feierte Thomas Lüthi (28) mit einem besonderen Ritual: «Meine Freunde kamen zum Barbecue und ich liess mir von ihnen den Kopf rasieren.»

Damals, vor fünf Jahren, lebte der Bündner Fotograf in der Nähe von Toronto (Kanada), wo er geboren und grösstenteils aufgewachsen war: «Wir alberten herum, ich wollte mit ihnen eine gute Zeit verbringen. Ich wusste, dass ich sie vielleicht nicht mehr sehen würde.»

Lüthi musste sich einer Hirn-OP unterziehen. Er litt an einer seltenen Erkrankung, der Chiari Malformation (siehe unten), die das Kleinhirn betrifft und unter anderem Lähmungserscheinungen hervorruft.

Vor einem Jahr gaben die Ärzte Lüthi grünes Licht für seinen Traum, das Fliegen

Erste Symptome am 23. Geburtstag

Dass er krank war, spürte Lüthi zum ersten Mal an seinem 23. Geburtstag: «Wir waren beim Bowling. Mein rechter Arm schmerzte, ich dachte, es sei Muskelkater.» Aber die Schmerzen hörten nicht auf, sie wurden schlimmer.

Es folgten Fehldiagnosen, Schmerzmittel und eine ungewisse Zukunft: Für Lüthi begann eine monatelange Leidenszeit. Zwar hatte er die Aufnahmeprüfung zur Feuerwehr-Akademie bestanden, konnte aber wegen der Beschwerden nicht mit der Ausbil­dung beginnen. Und sein Traum-Berufsziel Linienpilot schien völlig unerreichbar.

«Ich hatte keinen Appetit, schlief schlecht und isolierte mich», erzählt Lüthi. Bis ihn ein Neurologe in den Kernspintomografen steckte. Die Hiobsbotschaft kam per Telefon. Lüthi: «Da hörte ich zum ersten Mal das Wort Hirnoperation.»

Als er kurz darauf dem Chef der Neurochirurgie gegenübersass, fragte dieser: «Wo sind Ihre Eltern?» Da wusste Lüthi, wie ernst es um ihn steht.

Vom Hobby- zum Profifotografen: Lüthi arbeitet meist für das Haus Ringier.

Die erste OP dauerte elf Stunden

Mit 23 Jahren regelte er seinen Nachlass: «Ich tat einfach, was getan werden musste.» Als er in den OP-Saal geschoben wurde, lächelte er tapfer. «Ich wollte nicht, dass meine Mutter mich in Tränen sieht.» Kurz vor der Narkose kam die Angst. Lüthi bat eine Schwester, ihm die Hand zu geben. «Da kamen gleich drei – die schönsten, die ich je gesehen habe», sagt er heute. Elf Stunden dauerte die OP.

Hirn-OP im hinteren Schädelbereich

Nur acht von 100'000 Menschen leiden unter der Chiari Malformation, einer Fehlentwicklung im hinteren Schädelbereich, bei der das Kleinhirn zu weit unten sitzt. Folge: Die Hirnflüssigkeit fliesst ins Rückenmark. Es entstehen Zysten, die auf die Nervenstränge drücken, was zu Schmerzen und Lähmungserscheinungen führen kann.

Nur acht von 100'000 Menschen leiden unter der Chiari Malformation, einer Fehlentwicklung im hinteren Schädelbereich, bei der das Kleinhirn zu weit unten sitzt. Folge: Die Hirnflüssigkeit fliesst ins Rückenmark. Es entstehen Zysten, die auf die Nervenstränge drücken, was zu Schmerzen und Lähmungserscheinungen führen kann.

Der Weg zurück ins Leben war lang. Die ersten Wochen verbrachte er schlafend. Als es ihm besser ging, flog er in die Schweiz, um einen Freund zu besuchen – obwohl ihm die Ärzte davon abgeraten hatten.

«Ich war 24 Jahre alt, hatte keinen Job und mein ganzes Leben lag vor mir.» Lüthi blieb in der Schweiz, machte sein Hobby zum Beruf und wurde Fotograf. «Ich wollte alles vergessen und stürzte mich in die Arbeit. Das war die beste Therapie.»

Langsam kamen Emotionen hoch, seine erste Freundin nach der OP stand ihm bei: «Dank ihr fühle ich mich wieder ganz.»

Feuerwehr und Flugzeuge

Vor einem Jahr erfüllte sich Lüthis Traum doch noch: Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) erteilte ihm die Erlaubnis zum Fliegen von Privatflugzeugen.

Und wer fliegen darf, darf auch zur Feuerwehr. Seit kurzem ist Lüthi bei der Truppe in Kloten ZH aktiv. «Die Tests sind echt hart. Dass ich sie bestand, zeigt mir, dass es mir wieder gut geht. Eigentlich besser als je zuvor.»

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