Expertin über Juso-Initiative und die Wegzugdrohung von reichen Erben
«Das klingt ja nach Erpressung»

Wir leben zunehmend in Erbgesellschaften, schreibt Politikwissenschaftlerin Martyna Linartas in ihrem Buch. Im Gespräch erklärt sie, warum das die soziale Ungleichheit verschärft – und was die Politik gegen Steuerumgehung tun könnte.
Publiziert: 27.04.2025 um 15:41 Uhr
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Aktualisiert: 28.04.2025 um 13:44 Uhr
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Politikwissenschaftlerin Martyna Linartas findet, dass Erbschaften und Vermögen stärker besteuert werden müssen.
Foto: Tim Kraehnke

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Sara BelgeriRedaktorin

Frau Linartas, stimmt das bekannte Sprichwort, dass jeder seines Glückes Schmied ist?
Martyna Linartas: Statistisch gesehen nicht. Die Daten zeigen, dass die soziale Herkunft nach wie vor massgeblich über Einkommen und Vermögen bestimmt. In vielen westlichen Ländern stammen 60 bis 80 Prozent der grossen Vermögen aus Erbschaften. Während Vermögen früher zu einem grossen Teil selbst erarbeitet wurde, sind wir bereits Stand heute eher Erbengesellschaften – Tendenz steigend. Das hat gefährliche Folgen für die Demokratie.

Inwiefern?
Wenn Reichtum immer stärker konzentriert wird und politische Entscheidungen vor allem den Wohlhabenden nützen, schwindet das Vertrauen in demokratische Institutionen – nicht nur bei den ärmeren Bevölkerungsteilen, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft. Viele fühlen sich nicht mehr vertreten, erleben Abstiegssorgen und wenden sich von etablierten Parteien ab. Das schafft Nährboden für autoritäre Kräfte. Auch im aktuellen Koalitionsvertrag in Deutschland fehlt jeder Hinweis auf jene Instrumente, die laut Forschung am wirksamsten gegen Vermögensungleichheit helfen würden.

Sie sprechen von einer Erbschafts- oder Vermögensteuer.
Richtig. Oder auch eine Vermögensabgabe. Diese wurde etwa 1952 in Deutschland eingeführt – 50 Prozent des Vermögens mussten über 30 Jahre abgestottert werden, faktisch wirkte sie wie eine zusätzliche Vermögenssteuer. Damals war das Steuersystem insgesamt sehr progressiv, mit hohen Spitzensteuersätzen bei Einkommen, einer Vermögenssteuer und einer stärkeren Erbschaftssteuer.

Und das war positiv?
Ja, denn diese Rückverteilungspolitik trug zum wirtschaftlichen Aufschwung und zu einem starken Wohlfahrtsstaat bei. Mit dem Aufstieg des Neoliberalismus wurden diese Instrumente jedoch Schritt für Schritt abgeschwächt – im Glauben an den sogenannten «Trickle-Down-Effekt». Doch dieser hat sich längst als Mythos erwiesen: Wohlstand sickert eben nicht automatisch von oben nach unten durch.

Aber solche Steuern schaden doch der Wirtschaft.
Das Argument, dass eine höhere Erbschaftssteuer Arbeitsplätze gefährden und Unternehmen schaden würde, lässt sich empirisch nicht belegen. OECD-Studien zeigen keinen solchen Zusammenhang. Zudem gibt es Werkzeuge, um dem entgegenzuwirken: In Deutschland existieren etwa bereits heute Regelungen wie grosszügige Stundungen, die Erben ermöglichen, die Steuer aus laufenden Gewinnen über viele Jahre hinweg zu zahlen. Man könnte auch den Staat als stillen Teilhaber hereinlassen. Er würde dann so lange am Gewinn beteiligt, bis die Steuerschuld abbezahlt wäre. Dennoch wird mit diesem Narrativ gezielt Angst geschürt. Diese Mythen sind ein zentrales Instrument der Lobby des grossen Geldes, um breiten Widerstand gegen gerechtere Steuerpolitik zu mobilisieren.

Die Ungleichheitsforscherin

Martyna Linartas (34) ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Sie lehrt an der Freien Universität Berlin und an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz (D). 2022 hat sie das Portal ungleichheit.info gegründet. Ihr Buch «Unverdiente Ungleichheit: Wie der Weg aus der Erbengesellschaft gelingen kann» ist kürzlich im Rowohlt Verlag erschienen.

Tim Kraehnke

Martyna Linartas (34) ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Sie lehrt an der Freien Universität Berlin und an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz (D). 2022 hat sie das Portal ungleichheit.info gegründet. Ihr Buch «Unverdiente Ungleichheit: Wie der Weg aus der Erbengesellschaft gelingen kann» ist kürzlich im Rowohlt Verlag erschienen.

Mythos oder nicht – der Schweizer Unternehmer Peter Spuhler drohte damit, auszuwandern, wenn die neue Erbschaftssteuer-Initiative der Juso angenommen würde.
Das klingt ja nach Erpressung. Im Übrigen ist es eine Frage der Politik, ob Menschen mit hohem Vermögen einfach auswandern können, um Steuern zu vermeiden. Man kann die Erbschaftssteuer auch an die Staatsangehörigkeit und nicht an den Wohnsitz koppeln, wie es etwa die USA tun. Die entscheidende Frage lautet also nicht: Wandern sie aus? Sondern: Lässt die Politik das zu? Wenn sie klug handelt, lässt sie sich nicht unter Druck setzen. Denn klar ist: Wer ein Vermögen in einem Land aufgebaut hat – mithilfe der dortigen Infrastruktur, Bildung, Gesundheitsversorgung und Stabilität –, hat auch die Verantwortung, sich an den Kosten dieser Gesellschaft zu beteiligen. Gerechtigkeit bedeutet, dass auch die Vermögendsten ihren Beitrag leisten.

Anders als in Deutschland gibt es in der Schweiz aber bereits eine Vermögenssteuer.
Auch wenn bereits Vermögens- oder Einkommenssteuern gezahlt werden, ist eine Erbschaftssteuer gerechtfertigt. Denn trotz Vermögenssteuern wächst die Ungleichheit weiter, weil die Renditen grosser Vermögen das Wirtschaftswachstum deutlich übersteigen. Ohne wirksame Gegenmassnahmen – etwa durch eine progressive Erbschaftssteuer – wird die Kluft zwischen Arm und Reich zwangsläufig grösser.

Am Schluss Ihres Buchs plädieren Sie für die Einführung eines Grunderbes. Wie könnte dieses aussehen?
Die Idee eines Grunderbes geht auf Thomas Paine und die Zeit der Französischen Revolution zurück – und wurde in den letzten Jahren von führenden Ökonomen wie Anthony Atkinson oder Thomas Piketty wieder aufgegriffen. Das Konzept: Junge Erwachsene erhalten ein Startkapital, finanziert durch Reformen bei der Erbschafts- oder Vermögenssteuer.

Höhere Steuern reichen also nicht?
Nein, auch der Vermögensaufbau «unten» muss gestärkt werden. Trotz über 100 Jahren Demokratie und all der Instrumente, die wir in die Hand nahmen, wurde das Vermögen der ärmeren Hälfte kaum grösser, während die Ungleichheit immer weiterwächst. Mit einem Grunderbe würden nicht alle Probleme gelöst, aber Ungleichheit würde signifikant reduziert. Und es würden zum ersten Mal in der Geschichte auch Menschen aus der ärmeren Hälfte Vermögen erhalten – und das zu einem entscheidenden Zeitpunkt im Leben: beim Studienbeginn, Ausbildungsstart oder bei der Unternehmensgründung.

Das klingt fast schon kommunistisch.
Ich möchte keinen Kommunismus, ich möchte Demokratie. Und für eine Demokratie brauchen wir demokratische und soziale Gleichheit.

Und Erbschaften sollten wir abschaffen?
Am Erben ist generell nichts verkehrt. Es geht nicht darum, Erbschaften abzuschaffen, sondern darum, Erben so zu gestalten, dass nicht die Ungleichheit immer weiterwächst. Es ist völlig legitim, seinen Kindern etwas hinterlassen zu wollen, die Frage ist nur, wie. Wenn Vermögen extrem ungleich weitergegeben wird und es zunehmend darauf ankommt, in welche Familie man geboren wird, höhlen wir unsere Demokratien immer weiter aus. Deshalb müssen wir als Gesellschaft gestalten, wie Erbschaften geregelt sind – damit Gerechtigkeit und demokratische Teilhabe erhalten bleiben.

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