Schläge, Schreie und seelische Gewalt: Die Tessiner Familie N.* aus Chiasso TI musste jahrelang unter ihrer Prügel-Mutter Anna leiden. Immer wieder züchtigte sie ihre Kinder. Würgte sie, verpasste ihnen Ohrfeigen, schlug sie mit Gürtelschnallen und Besenstiel windelweich, trat mit Hausschuhen auf sie ein.
Nachbarn meldeten die wiederholten Misshandlungen. Dennoch passierte lange Zeit nichts. Erst als der älteste Sohn Ludovico* (damals 10) in der Schule sein Schweigen bricht, endet das Martyrium. Am 24. Januar 2017 wird Anna N. verhaftet. Die Kinder (damals 4, 8, 9 und 10) kommen ins Heim.
Zwei von drei Teenagern erleben Gewalt in der Erziehung
Derartige Fälle von Gewalt in der Erziehung sind in der Schweiz kein Einzelfall. Das zeigt die Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Hochschule für Soziale Arbeit (HETS) Freiburg zu «Gewalt in der Erziehung» aus dem Jahr 2018. Im Zuge dieser Erhebung wurden 8317 Jugendliche zwischen 17 und 18 Jahren befragt.
Die Bilanz: Zwei von drei Jugendlichen haben in der Erziehung durch ihre Eltern als Kind oder Teenager Gewalt erfahren. 41,4 Prozent erlebten Züchtigung durch Ohrfeigen, hartes Anpacken oder Stossen. Jeder Fünfte (21,9 Prozent) erlitt schwere Gewalt durch Schläge mit der Faust oder einem Gegenstand, Prügeln oder Treten.
Expertin fordert harte Strafen für Prügel-Eltern
Die Zuger Erziehungsexpertin und Autorin Sefika Garibovic (60) verurteilt derartige Erziehungsmassnahmen. «Kein Kind hat Gewalt verdient. Eltern, die ihre Kinder prügeln oder Psycho-Gewalt in der Erziehung anwenden, gehören hart bestraft!», sagt Garibovic zu BLICK. Vor allem die psychische Gewalt habe in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen. «Sie hinterlässt unsichtbare Spuren und findet in der Erziehung oft auf derart subtile Weise statt, dass es für Fachleute schwer ist, sie zu erkennen.»
Garibovic, die eine Praxis in Zug betreibt, weiss aus ihrer 32-jährigen Berufserfahrung in der Zusammenarbeit mit Kindern: «Eltern mit niedrigem Bildungsstand greifen bei ihren Kindern öfter zu körperlicher Gewalt. Eltern mit höherem Bildungsstand wenden öfter Psycho-Gewalt an.» In beiden Fällen sind die Folgen für die Kinder laut der Expertin so vielseitig wie auch verheerend: von Essstörungen übers Ritzen bis hin zu Depressionen. Und nicht selten würden Kinder, die Gewalt im Elternhaus erlebt haben, später selbst gewalttätig.
Körperstrafe ist in der Schweiz noch immer erlaubt
Doch noch immer sind Körperstrafen ein fester Teil der eidgenössischen Erziehungskultur. Schlagen, ohrfeigen oder beschimpfen: Wenn es um die Erziehung der eigenen Kinder geht, sind derartig pädagogisch fragwürdige Methoden in der Schweiz nach wie vor zulässig. Denn gemäss Artikel 14 des Strafgesetzbuches ist Körperstrafe, solange sie als Bestandteil elterlicher Sorge gilt, erlaubt.
Beschämend: Obgleich der Schutz von Kindern schon mehrfach auf politischer Ebene diskutiert wurde, kam es nie zu einer Gesetzesanpassung. So wurde die parlamentarische Initiative «Verbesserter Schutz für Kinder vor Gewalt» von alt Nationalrätin Ruth-Gaby Vermot-Mangold (79) im Dezember 2008 vom Nationalrat mit 102 zu 71 Stimmen abgelehnt. In vergangenen Jahren gab es dahingehend etliche Motionen.
Eine Ohrfeige, ein Klaps auf den Hintern oder eine «Tatze» – ein Hieb mit dem Rohrstock oder Lineal auf die Finger: Nicht nur daheim, sondern auch in der Schule war es früher legitim, Kinder mit Körperstrafen zu massregeln.
Noch im 19. Jahrhundert war die Erziehung mit harter Hand an der Tagesordnung. «Wohl deswegen gibt es über die damaligen disziplinarischen Erziehungsmassnahmen kaum Aufzeichnungen. Die wenigen Zeitzeugnisse, in denen von der damaligen Schulzeit berichtet wird, zeugen jedoch von Gewalt. In Extremfällen floss sogar Blut», sagt der Bildungshistoriker Daniel Deplazes (35) zu BLICK.
So finden sich in historischen Aufzeichnungen immer wieder die Aussage: «Eine kleine Ohrfeige hat noch keinem geschadet.» Getreu diesem Motto wurde früher auch im Zürcher Landeserziehungsheim Albisbrunn Regime geführt. Akten von 1960 bis 1990 geben laut Deplazes Hinweise darauf, dass dort fast jedes der eingewiesenen Kinder und Jugendlichen irgendwann eine Flättere kassierte.
«Viele Kinder lebten früher in Angst vor Züchtigungen», so der Experte. Dabei seien die Gründe für Körperstrafen oft willkürlich gewesen und reichten von Aufmüpfigkeit, Stören im Unterricht bis hin zur Sauklaue eines Schülers.
«Lehrer in der ganzen Schweiz haben noch Anfang des 20. Jahrhunderts auf das Züchtigungsrecht gepocht, da sie es als notwendig erachteten, um im Ernstfall durchzugreifen», so Deplazes. Erst 1978 wurde das Züchtigungsrecht der Eltern aus dem Zivilgesetzbuch gestrichen. Doch noch bis Anfang der 1980er-Jahre war es Lehrpersonen gemäss Zürcher Schulgesetz erlaubt, Schüler zu züchtigen.
Eine Ohrfeige, ein Klaps auf den Hintern oder eine «Tatze» – ein Hieb mit dem Rohrstock oder Lineal auf die Finger: Nicht nur daheim, sondern auch in der Schule war es früher legitim, Kinder mit Körperstrafen zu massregeln.
Noch im 19. Jahrhundert war die Erziehung mit harter Hand an der Tagesordnung. «Wohl deswegen gibt es über die damaligen disziplinarischen Erziehungsmassnahmen kaum Aufzeichnungen. Die wenigen Zeitzeugnisse, in denen von der damaligen Schulzeit berichtet wird, zeugen jedoch von Gewalt. In Extremfällen floss sogar Blut», sagt der Bildungshistoriker Daniel Deplazes (35) zu BLICK.
So finden sich in historischen Aufzeichnungen immer wieder die Aussage: «Eine kleine Ohrfeige hat noch keinem geschadet.» Getreu diesem Motto wurde früher auch im Zürcher Landeserziehungsheim Albisbrunn Regime geführt. Akten von 1960 bis 1990 geben laut Deplazes Hinweise darauf, dass dort fast jedes der eingewiesenen Kinder und Jugendlichen irgendwann eine Flättere kassierte.
«Viele Kinder lebten früher in Angst vor Züchtigungen», so der Experte. Dabei seien die Gründe für Körperstrafen oft willkürlich gewesen und reichten von Aufmüpfigkeit, Stören im Unterricht bis hin zur Sauklaue eines Schülers.
«Lehrer in der ganzen Schweiz haben noch Anfang des 20. Jahrhunderts auf das Züchtigungsrecht gepocht, da sie es als notwendig erachteten, um im Ernstfall durchzugreifen», so Deplazes. Erst 1978 wurde das Züchtigungsrecht der Eltern aus dem Zivilgesetzbuch gestrichen. Doch noch bis Anfang der 1980er-Jahre war es Lehrpersonen gemäss Zürcher Schulgesetz erlaubt, Schüler zu züchtigen.
Forderung für Züchtigungsverbot immer wieder gescheitert
Zuletzt hatte die Walliser Ex-CVP-Nationalrätin Géraldine Marchand-Balet (49) im Juni 2018 mit einer Motion die Verankerung eines Züchtigungsverbots im Zivilgesetzbuch gefordert, um die physische und psychische Integrität von Kindern zu schützen. Der Bundesrat sah keinen Handlungsbedarf und beantragte die Ablehnung der Motion.
Immerhin: Im Fall von Prügel-Mutter Anna N. hat die Justiz hart durchgegriffen. Der damals 38-Jährigen wurde im Dezember 2018 vor dem Gericht in Lugano TI der Prozess gemacht. Dass Argument der Putzfrau, dass sie eigenen Angaben zufolge mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert war, liess das Gericht nicht gelten. Sie wurde vollumfänglich bestraft – und schliesslich zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.
*Namen geändert
16.11. Zu Hause bei Familie Stauffer
17.11. Mamas und Papas
18.11. Erziehen, betreuen, berappen
19.11. Gewalt in der Erziehung
20.11. Alleine mit dem Kind
21.11. Das grosse Interview
Reportagen, Analysen und Debatten auf Blick TV
16.11. Zu Hause bei Familie Stauffer
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