Eine 28-jährige Schweizer Konvertitin verübte am Dienstagnachmittag im Manor an der Piazza Dante in Lugano TI einen Attacke mit wahrscheinlich terroristischem Hintergrund. Einer Frau schnitt sie die Kehle auf, eine andere würgte sie.
Miryam Eser (56), Expertin für dschihadistische Radikalisierung und Dozentin am Departement Soziale Arbeit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, ordnet das Attentat ein – und erklärt, wie es so weit kommen kann.
BLICK: Frau Eser, nach der Terrorattacke in Morges, in der Waadt, trifft es erneut eine eher kleine Schweizer Stadt. Warum fand der Anschlag ausgerechnet in Lugano statt?
Miryam Eser: Es hätte jede Stadt treffen können, aber unsere ausgewerteten Daten zu dschihadistischen Gefährdern in der Schweiz von 2019 zeigen, dass sowohl der Genferseeraum als auch das Tessin stärker von der Radikalisierung betroffen sind als andere Regionen. Die Grösse der Stadt spielt dabei eigentlich keine Rolle.
Warum erscheint der Angriff vermeintlich wahllos?
Diese Frage stellt sich auch bei vielen der Messerattacken in Grossbritannien und Frankreich, es sind aber meist belebte Orte, und die Opfer werden meist zufällig gewählt. Dass es sich bei den Opfern um Frauen handelt, deutet aber doch darauf hin, dass die Täterin weniger Gegenwehr erwartete und in einer Einkaufszone sicher ist, dass ihre Tat glückt.
Die Behörden ziehen ebenfalls Parallelen zum Attentat in Morges. Warum wird ein Messer als Tatwaffe gewählt?
Ein Messer lässt sich einfach beschaffen und braucht keine spezielle Ausbildung an der Waffe.
Die 28-jährige Täterin ist eine Schweizerin, die zum Islam konvertiert ist. Sind Konvertiten radikaler als andere? Wie viele Gefährder gibt es in der Schweiz – wie viele im Tessin?
Konvertiten und Konvertitinnen sind gefährdeter, sich zu radikalisieren, und machen rund einen Fünftel der Gefährder aus. Nach Auskunft des Nachrichtendiensts des Bundes gab es 2019 rund 130 als radikalisiert eingestufte Personen, wie viele von ihnen gefährlich werden können, ist schwierig zu sagen, sie sind unter Beobachtung. Davon waren fünf radikalisierte Personen im Tessin, was wegen der geringeren Bevölkerungsdichte stärker ins Gewicht fällt.
Die Täterin ist diesmal eine Schweizer Frau, die sich in einen dschihadistischen Kämpfer aus Syrien verliebte. Für gewöhnlich sind die Täter aber männlich – mit Ausnahmen wie die britische Terroristin Samantha Lewthwaite. Welche Rolle spielt das Geschlecht?
In der Schweiz sind elf Prozent der radikalisierten Personen Frauen. Dass auch Frauen zu einer Gewalttat schreiten können, hat sich auch in Deutschland und Frankreich gezeigt.
Wie kann man diese Menschen von ihren radikalen Ideen abbringen?
Das ist ein schwieriges Unterfangen und braucht intensive Programme, welche radikalisierte Personen zum Beispiel im Rahmen des Strafvollzugs oder im Anschluss dazu bringt, sich mit ihren Überzeugungen auseinanderzusetzen und sie zu hinterfragen. Dafür braucht es Auflagen, die von Richtern ausgesprochen werden. Dadurch können dann Risse im Gedankengebäude entstehen, die über die Zeit in einer intensiven Auseinandersetzung auf mehreren Ebenen – Ideologie, Religion, Gewaltbereitschaft, Integration etc. – zu einer Distanzierung von Extremismus führen können.