Herr Rühli, machen Sie uns doch bitte etwas Hoffnung.
Frank Rühli: Das kann ich zum Glück, wir sehen rein zahlenmässig, dass sich die Zunahme verlangsamt, sowohl in der Schweiz wie auch in einigen anderen Ländern. Wir in der Schweiz könnten, vorsichtig gesagt, relativ glimpflich davonkommen. Dies aber alles als Stand des Wissens heute.
Menschen, die Angst haben, können also aufatmen?
Das Mentale ist ja stark davon beeinflusst, welche Nachrichten man liest, wie und wo man sich informiert und wie man sich mit dem Thema Corona beschäftigt. Da hilft es, sich immer wieder die objektiven Zahlen vor Augen zu führen. Ganz selten stirbt jemand, welcher nicht schon eine bedeutende Vorerkrankung hatte oder sehr alt ist am Coronavirus. Sie haben also eine viel, viel grössere Chance, eine solche Infektion zu überleben, als ein Risiko, daran zu sterben. Und ausser ein paar Ignoranten, die es immer gibt, zeigt die Mehrheit gesunden Menschenverstand und hält sich an die Social-Distancing-Regeln des BAG – was natürlich unter anderem wiederum die Ursache für die Verlangsamung der Ansteckungsrate ist.
Man könnte also sagen: Corona hat das Vertrauen in die Vernunft der Menschheit wiederhergestellt?
Der Mensch ist evolutionär geeicht, darauf zu achten, dass es ihm und seiner direkten Umwelt gut geht. Das sieht man jetzt eindrücklich. Er kopiert auch gerne – das erklärt im Negativen die Toilettenpapierhamstereien, aber auch im Positiven, dass sich die breite Masse nun wirklich an die Regeln hält. Es wird immer Menschen geben, die sich nicht an die Regeln halten. Evolutionär gesehen ist das durchaus erklärbar.
Wie denn?
Die Verteilung zwischen stark konformem, sozialem Verhalten bis hin zur Selbstaufopferung auf der einen Seite und asozialem, extrem egoistischem Verhalten auf der anderen Seite existiert in der Geschichte der Menschheit immer, teilweise sogar im Tierreich. Ein Grossteil aller Individuen bewegt sich in der Mitte eines «normalen» Verhaltens, zu beiden Seiten gibt es Ausreisser ins Extreme, auch in Krisenzeiten. Je breiter eine Verhaltensverteilung einer Spezies ist, desto eher überlebt je nach Bedingungen ein Teil in Notzeiten.
Können Sie konkretes Beispiel geben?
Aktuell ist sicher medizinisches Personal, das sich – im Ausland teilweise unter Lebensgefahr – aufopfert, am sozial konformen Ende der Verteilung. Ohne die entgegengesetzte, egoistische Seite der Menschheit hätte es aber wohl diverse Entdeckungen und Innovationen nicht gegeben. Hierfür braucht es manchmal Egoisten, die ohne Rücksicht auf Verluste einfach ihr Ding durchziehen. Es ist ja manchmal auch so, dass höchst intelligente Menschen im zwischenmenschlichen Bereich vielleicht nicht ganz so begabt sind wie andere. Ganz vereinfacht gesagt: Jemand, der keinen sozialen Kontakt braucht, extrem isoliert lebt, hat in Zeiten einer Pandemie einen Vorteil – weil er sowieso Menschen meidet.
Können wir eigentlich aus vergangenen Pandemien etwas lernen?
Es ist ja interessant, dass sich teilweise Aspekte wiederholen: Pestmasken, Mundschutz, das alles gab es schon. Trotzdem kann man noch nicht viel über die Covid-19-Pandemie sagen – wir stecken ja mittendrin. Und sehr viel über den exakten Ursprung und die Ansteckungswege wissen wir noch nicht. Ich bin aber der Meinung, dass wir die heutige Pandemie kaum mit der Spanischen Grippe von 1918 oder dem Schwarzen Tod im 14. Jahrhundert vergleichen können.
Warum nicht?
Wegen der Technologisierung und der Globalisierung. Zum einen verbreitet sich heutzutage ein neuer Erreger wegen des globalen Flugverkehrs und der weltumspannenden Handelsrouten rasend schnell, andererseits reist auch die Information zu Erregern blitzschnell, genauso wie die Reaktion darauf. Wir sind heute viel besser aufgestellt, als dies die mittelalterliche oder die Vorkriegsgesellschaft war.
Wer ist denn aktuell am besten aufgestellt, um auf die Krise zu reagieren?
Vor allem die asiatischen Länder. Die haben mit der Sars-Pandemie 2002/2003 Erfahrungen gesammelt und jetzt schnell und bekanntlich zum Teil anders als wir reagiert. Singapur etwa hat in kürzester Zeit ganze Spitalabteilungen und effektive Quarantäneregeln hochgezogen. Wir sollten noch mehr vorausplanen.
Und die Schweiz?
In der Schweiz gab es so etwas wie eine Katastrophenlücke, das ist ein Begriff des emeritierten Professors Christian Pfister vom Historischen Seminar der Uni Bern. Dieser Begriff ist zwar auf Naturkatastrophen bezogen, gilt aber übertragen auch für andere Krisen. Wir sind ja sogar im Zweiten Weltkrieg einigermassen glimpflich davongekommen. Seit dem 18. Jahrhundert, als die Franzosen einfielen, hat die Schweiz kaum grössere Katastrophen mehr erlebt. Das ist zum einen ein Glücksfall, zum anderen «rächt» sich das jetzt. Wir haben das Gedächtnis für Katastrophen verloren. Die heutige Generation wird sich aber daran erinnern. Für die, die jetzt ungeschoren davonkommen, ist das wie ein Warnschuss.
Wie wird sich das auswirken?
Hoffentlich so, dass sich die Menschen nicht mehr so selbstverständlich in Sicherheit wiegen. Dass sie merken, dass es sinnvoll ist, vorauszudenken und zwar auf politischer wie auch persönlicher Ebene.
Sprechen Sie von Notvorräten?
Ja, auch finanzieller Art. Es macht für jeden Sinn, etwas für harte Zeiten anzusparen respektive Reserven zu bilden, das sieht man jetzt eindrücklich. Das gilt für jeden Einzelnen. Aber auch für den Bund, der nun beispielsweise eine Koordinationsstelle und eine Not-Kasse einrichten könnte, die in Zukunft noch schneller und unbürokratischer auf Katastrophen reagieren und auch noch schneller Gelder sprechen könnte. Das wäre auch jetzt hilfreich in vielen Bereichen.
Wo denn genau?
Beispielsweise in der Forschung. Ich bekomme Mitteilungen hierzu von Forschungsgruppen. Etwa, dass Antikörpertests, grossflächig durchgeführt, nun essenzielle Grunddaten wären, um rasch auf die Pandemie reagieren zu können. Auch müssen wir sofort beginnen, uns auf eine mögliche zweite Welle der Infektionen in ein paar Monaten vorzubereiten. Für solche Forschungsprojekte bräuchte es sofort Infrastruktur und Geld. Bis das aber durch unsere Bürokratie durch ist, bis Gelder gesprochen sind, dauert es hierzulande für Notsituationen oft zu lange. Und in der Zwischenzeit sterben Menschen, und die Wirtschaft steht still. Das empfinde ich als problematisch. Aber ich möchte noch etwas zu den Auswirkungen sagen.
Ja?
Ich hoffe, dass die Parteien merken, dass es eben Sinn macht, in ein Gesundheitswesen zu investieren, in Bildung und Forschung, und nicht ohne materielle und personelle Reserven dazustehen. Und ich glaube, es findet gerade ein Wertewandel statt. Die Leute merken, wie wichtig der persönliche Kontakt ist. Der Nachbar, mit dem man über den Gartenzaun spricht und der eventuell beim Einkaufen hilft, ist plötzlich wichtiger als der Facebookfreund oder Instagram-Follower. Das wird wohl den heutigen Generationen bleiben.
Corona macht uns menschlicher?
Natürlich, in Krisen rückt man zusammen – trotz Social Distancing. Und die Krise wirft auch ein Licht auf unseren Umgang mit der Umwelt – wenn man etwa sieht, wie sich die Luftwerte überall verbessern. Hoffentlich überlegen wir uns, ob wir einfach so wieder weltweit zum Status quo zurückkehren wollen.
Wo gibt es denn Änderungspotenzial wegen Corona?
Ich bin ja gar kein Globalisierungsgegner per se, aber ich denke, es wird da ein Bewusstseinswandel geben. Es ist einfach sinnvoller, ein Rüebli im eigenen Garten anzupflanzen, als es von weit her zu importieren. Oder Lieferketten weniger abhängig von fernen Ländern zu gestalten. Auch die Digitalisierung wird einen immensen Schub erfahren.
Gibt es eigentlich Momente, bei denen Sie denken, warum lernt die Menschheit eigentlich nichts aus der Geschichte?
Ja, nicht nur seit der Corona-Krise! Es braucht so wenig – Grundhygiene, Händewaschen. Und ich sehe so viele, auch an der Uni, die aus dem WC rauslaufen, ohne sich die Hände zu waschen. Da frag ich mich echt. Ausserdem: Legen Sie für sich falls möglich etwas Reserven an, auch nach der Krise.
Frank Rühli (48), ist Direktor des Instituts für Evolutionäre Medizin an der Universität Zürich. Nach seinem Medizinstudium in Zürich arbeitet Rühli zunächst als Assistent am Institut für Diagnostische Radiologie am Universitätsspital Zürich. Zwischen 2003 und 2014 ist er als Assistent, Leitender Assistent und Professor am Institut für Anatomie der Universität Zürich tätig und wird 2018 zum Gründungsdirektor des Instituts für Evolutionäre Medizin gewählt. Frank Rühli lebt mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen im Zürcher Kreis 12.
Frank Rühli (48), ist Direktor des Instituts für Evolutionäre Medizin an der Universität Zürich. Nach seinem Medizinstudium in Zürich arbeitet Rühli zunächst als Assistent am Institut für Diagnostische Radiologie am Universitätsspital Zürich. Zwischen 2003 und 2014 ist er als Assistent, Leitender Assistent und Professor am Institut für Anatomie der Universität Zürich tätig und wird 2018 zum Gründungsdirektor des Instituts für Evolutionäre Medizin gewählt. Frank Rühli lebt mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen im Zürcher Kreis 12.
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
Gerade in der Grippesaison kann man selber nur schwer einschätzen, ob man am Coronavirus erkrankt ist oder ob man einfach eine gewöhnliche Grippe hat. Die Unterschiede sind fein, aber es gibt sie. Blick klärt auf.
Gerade in der Grippesaison kann man selber nur schwer einschätzen, ob man am Coronavirus erkrankt ist oder ob man einfach eine gewöhnliche Grippe hat. Die Unterschiede sind fein, aber es gibt sie. Blick klärt auf.
Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit, wie Sie sich selbst schützen können:
Hygienemassnahmen
- Hände regelmässig mit Wasser und Seife waschen und/oder Desinfektionsmittel nutzen.
- Nicht in Hände niesen oder husten, sondern Taschentuch oder Armbeuge nutzen. Taschentücher anschliessend sofort korrekt in geschlossenem Abfalleimer entsorgen.
- Bei Fieber und Husten zwingend zu Hause bleiben.
Kontakt minimieren
- Zu Hause blieben und Kontakte mit Personen möglichst minimieren. Nur in Ausnahmesituationen aus dem Haus gehen: Lebensmittel einkaufen / Arzt- oder Apothekenbesuch / Homeoffice ist für Ihre Arbeit nicht möglich / Sie müssen anderen Menschen helfen. Kontakt mit Personen vermeiden, die Atembeschwerden oder Husten haben.
- Wichtig: Keine Begrüssungsküsschen, keine Umarmungen, kein Händeschütteln.
- 2 Meter Abstand zu Mitmenschen halten, beispielsweise beim Anstehen oder bei Sitzungen.
- Öffentliche Verkehrsmittel meiden und Lieferdienste nutzen.
-
Bei Symptomen (Atembeschwerden, Husten oder Fieber) nicht in die Öffentlichkeit gehen und umgehend – unbedingt zuerst telefonisch – eine Ärztin, einen Arzt oder eine Gesundheitseinrichtung kontaktieren.
Informiert bleiben
- An die Regeln und Ansagen der Behörden halten. Infoline Coronavirus: 058 463 00 00, Info-Seite des BAG: bag-coronavirus.ch
Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit, wie Sie sich selbst schützen können:
Hygienemassnahmen
- Hände regelmässig mit Wasser und Seife waschen und/oder Desinfektionsmittel nutzen.
- Nicht in Hände niesen oder husten, sondern Taschentuch oder Armbeuge nutzen. Taschentücher anschliessend sofort korrekt in geschlossenem Abfalleimer entsorgen.
- Bei Fieber und Husten zwingend zu Hause bleiben.
Kontakt minimieren
- Zu Hause blieben und Kontakte mit Personen möglichst minimieren. Nur in Ausnahmesituationen aus dem Haus gehen: Lebensmittel einkaufen / Arzt- oder Apothekenbesuch / Homeoffice ist für Ihre Arbeit nicht möglich / Sie müssen anderen Menschen helfen. Kontakt mit Personen vermeiden, die Atembeschwerden oder Husten haben.
- Wichtig: Keine Begrüssungsküsschen, keine Umarmungen, kein Händeschütteln.
- 2 Meter Abstand zu Mitmenschen halten, beispielsweise beim Anstehen oder bei Sitzungen.
- Öffentliche Verkehrsmittel meiden und Lieferdienste nutzen.
-
Bei Symptomen (Atembeschwerden, Husten oder Fieber) nicht in die Öffentlichkeit gehen und umgehend – unbedingt zuerst telefonisch – eine Ärztin, einen Arzt oder eine Gesundheitseinrichtung kontaktieren.
Informiert bleiben
- An die Regeln und Ansagen der Behörden halten. Infoline Coronavirus: 058 463 00 00, Info-Seite des BAG: bag-coronavirus.ch