Kurz zusammengefasst
- Am Institut für Neuropathologie am Unispital Zürich wurden Tierversuche gefälscht
- Starforscher Adriano Aguzzi muss wegen eines fehlbaren Mitarbeiters mehrere Arbeiten korrigieren oder gar zurückrufen
- Bei der Aufarbeitung des Forschungsbetrugs lassen Professor Aguzzi und die Universitätsleitung Transparenz vermissen
Das Universitätsspital Zürich (USZ) gehört zu den angesehensten Gesundheitseinrichtungen der Welt. Das Renommee der benachbarten Universität reicht ebenfalls weit über die Landesgrenzen hinaus. Die Grundlage dafür: Glaubwürdigkeit und Vertrauen.
Jetzt kommen jedoch Vorgänge ans Licht, die das Ansehen von USZ und Universität schwer beschädigen könnten. Recherchen von Blick zeigen: Hinter den Mauern der altehrwürdigen Institutionen wurden Forschungsergebnisse gefälscht.
Ein Forscher, der bis vor rund zwei Jahren in Zürich tätig war, hat Laborversuche mit Mäusen, die nie stattgefunden haben, in wissenschaftliche Arbeiten einfliessen lassen. Konkret hat er Mikroskopbilder von Mäusegehirnen, die aus früheren Untersuchungen stammten, wiederverwendet, um die gewünschten Forschungsergebnisse vorzutäuschen.
Die vermeintlichen Erkenntnisse fanden Eingang in wissenschaftliche Publikationen, die in internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden.
Mitarbeiter hat Manipulationen zugegeben
Ort des Forschungsbetrugs war das Institut für Neuropathologie am Unispital Zürich, das von Adriano Aguzzi (63) geleitet wird. Der italienisch-schweizerische Biomediziner ist gleichzeitig ordentlicher Professor für Neuropathologie an der Medizinischen Fakultät der Uni Zürich.
Gemäss Informationen von Blick hat der fehlbare Mitarbeiter seine Manipulationen mittlerweile zugegeben. Institutsleiter Aguzzi musste deshalb in den vergangenen Wochen und Monaten mehrere Publikationen korrigieren oder gar widerrufen, weil sie auf den gefälschten Ergebnissen basierten.
Des Weiteren sind auch bei früheren Arbeiten Aguzzis, die um das Jahr 2010 herum publiziert wurden und nichts mit den gefälschten Tierversuchen zu tun hatten, Ungereimtheiten aufgetaucht.
Insgesamt sollen laut einem Insider bei «einem halben Dutzend Papers» Fragezeichen bestehen. Angesichts von mehr als 600 Schriften, die Aguzzi in seiner Laufbahn publiziert hat, scheint das wenig. Allerdings ist ein «Corrigendum» oder eine «Retraction» in der akademischen Welt keine Bagatelle. Sie können die Glaubwürdigkeit eines Forschers ernsthaft beeinträchtigen, einen Rückgang von Fördermitteln nach sich ziehen – und ihn im schlimmsten Fall den Lehrstuhl kosten.
Hat der Starprofessor korrekt reagiert?
Zu Aguzzis Verteidigung sei gesagt, dass sich das Manipulieren von Forschungsdaten nie komplett ausschliessen lässt. Schwarze Schafe gibt es überall, nicht nur in der Spitzenforschung. Entscheidend ist jedoch, wie die Verantwortlichen reagieren, wenn ein solches Fehlverhalten zum Vorschein kommt.
Im Fall Aguzzi gibt es diesbezüglich unterschiedliche Interpretationen. Nach Informationen von Blick hat er zwar die 40 Mitglieder seines Instituts am 14. Februar 2024 über die Probleme informiert, kurz nachdem er von unbekannter Stelle auf die Unregelmässigkeiten aufmerksam gemacht worden war.
Jedoch wird die Dimension der entdeckten Fehler in allen Korrekturen und Widerrufen, die in den vergangenen Wochen publiziert worden sind, kleingeredet. Mal ist von einem «versehentlichen Bearbeitungsfehler» («inadvertent editing error») die Rede. Ein andermal heisst es: «Das Bild wurde fälschlicherweise dupliziert.» («Erroneously, the image has been duplicated.»)
Selbst in der Widerrufserklärung einer Arbeit, die auf den gefälschten Tierversuchen basierte, sprachen Aguzzi und seine Co-Autoren lediglich von «Unregelmässigkeiten». Kein Wort von Fälschung oder Betrug.
Fachzeitschriften haben wenig Interesse an Korrekturen
Hinzu kommt, dass längst nicht alle Arbeiten, bei denen Mängel bestehen, korrigiert wurden – zumindest bis jetzt. Einige Forscher sind deshalb der Meinung, dass Aguzzi zu wenig tue, um Transparenz zu schaffen.
Andere sehen eine Teilschuld aber auch bei den internationalen Journals, in denen die fraglichen Arbeiten einst publiziert wurden. «Diese haben wenig Interesse an einer Richtigstellung», sagt ein Insider. Denn eine Korrektur oder gar ein Widerruf eines Papers schade auch der Reputation der entsprechenden Fachzeitschrift.
Für Aguzzi selbst ist die potenzielle Fallhöhe immens. Er ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Prionenforschung, die untersucht, wie anormale Eiweisspartikel das Gehirn schädigen können. Der Neuropathologe hat verschiedene Patente zur Diagnostik und Therapie von Prionenerkrankungen wie BSE – besser bekannt als Rinderwahn – sowie der tödlichen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit entwickelt.
Geehrt von der belgischen Königin
Durch seine Arbeit hat Aguzzi zahlreiche Menschenleben gerettet, wofür er x-fach ausgezeichnet wurde: 1999 erhielt er den Ernst-Jung-Preis (200’000 Mark), 2003 den Robert-Koch-Preis (65’000 Euro), 2004 den Marcel-Benoist-Preis (100’000 Franken), 2009 den Antonio-Feltrinelli-Preis (65’000 Euro), 2013 den Hartwig Piepenbrock-DZNE Preis (50’000 Euro).
2017 erlebte er einen besonderen Höhepunkt: Die belgische Königin Mathilde (51) überreichte ihm für seine «fundamentalen Entdeckungen im Bereich der neurologischen Erkrankungen» den Baillet Latour Health Prize. Dotierung: 250’000 Euro.
Auch über die Wissenschaft hinaus machte der Starprofessor, der auch schon als Nobelpreis-Anwärter gehandelt wurde, immer wieder auf sich aufmerksam. Während der Covid-19-Pandemie trieb Aguzzi die Regierung in Bern vor sich her. «Der Bundesrat handelt verantwortungslos», sagte er im März 2020 in einem Interview, wenige Tage vor dem Lockdown. Später warnte er vor «60'000 Toten bis Juli» und forderte deutlich härtere Corona-Schutzmassnahmen.
Zu wenig «Mäusepolizist» gespielt
Ein weiteres Thema, für das sich Aguzzi seit Jahren starkmacht: die Vereinfachung von Tierversuchen. Einst warf er dem Zürcher Veterinäramt in diesem Zusammenhang Willkür vor und bezeichnete eine Beamtin öffentlich als «Mäusepolizistin», die keine Ahnung habe von wissenschaftlichen Zusammenhängen.
Nun könnte Aguzzi zum Verhängnis werden, dass er selbst zu wenig «Mäusepolizist» gespielt hat. Die Qualitätskontrollen in seinem Labor haben versagt, sonst wäre die Fälschung von Tierversuchen nicht möglich gewesen.
Fragwürdig ist aber auch die Reaktion der Universitätsleitung, die laut Informationen von Blick ebenfalls seit Februar von den Vorwürfen weiss. Rektor Michael Schaepman (58) hat zwar umgehend eine Untersuchung eingeleitet. Allerdings hielt es offenbar niemand für nötig, die Öffentlichkeit über diese Vorgänge zu informieren. Selbst als der fehlbare Wissenschaftler bewusste Manipulationen zugab, schwiegen die Verantwortlichen weiter.
Uni beantwortet keine Fragen
Als Blick diese Woche Auskunft verlangte über die Geschehnisse am Institut für Neuropathologie, beschränkte sich die Universität ebenfalls auf ein Minimum an Transparenz. Ein Sprecher teilte zwar mit, dass man «die Vorwürfe gegen Professor Adriano Aguzzi und weitere Mitarbeitende des Instituts für Neuropathologie» prüfe. Auf Details ging die Medienstelle jedoch nicht ein.
«Die Fragen, welche Publikationen betroffen sind, und ob es sich dabei um Flüchtigkeitsfehler oder allenfalls um Betrug handelt, sind Teil der laufenden Untersuchung», so ein Sprecher. Ob es bei einer Publikation zu Korrekturen oder gar zum Rückzug komme, würden wiederum die Fachzeitschriften im Austausch mit den Studienautoren unabhängig entscheiden.
Zu allem anderen heisst es: kein Kommentar. Ein Sprecher hält fest: «Aufgrund der Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeitenden sowie aus rechtlichen Gründen kann die Universität Zürich vor Abschluss der laufenden Untersuchung nicht öffentlich zum Fall kommunizieren.»
Was trieb den fehlbaren Forscher an?
Eine öffentliche Stellungnahme von Aguzzi war auch nicht zu bekommen. Gemäss einem Mitglied des Instituts für Neuropathologie sieht er sich aber als «Opfer eines Betrugs» – und das von einem Wissenschaftler, den er jahrelang gefördert habe. Der Starforscher befürchte zudem, dass die Affäre seine erfolgreiche Karriere überschatten könnte.
Unklar ist, wie es dem fehlbaren Forscher seit seinem Abgang bei der Uni Zürich ergangen ist. Auch die Beweggründe für seine Taten bleiben im Dunkeln. Eine mögliche Erklärung ist Überforderung. Eine Rolle gespielt hat aber mit Sicherheit auch der hohe Leistungs- und Publikationsdruck in der Spitzenforschung. «Der Konkurrenzkampf ist knallhart», sagt ein Insider. Wer nicht liefere, sei nach wenigen Jahren weg vom Fenster.