Energiespar-Experte Roland Stulz
«Verzicht ist ein furchtbares Wort»

Wie weit sind wir auf dem Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft? Der Vater der Idee zieht Bilanz.
Publiziert: 24.04.2014 um 10:35 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 21:13 Uhr
Von Adrian Meyer (Text) und Joseph Khakshouri (Fotos)

Herr Stulz, wie hoch ist Ihr Energieverbrauch?
Roland Stulz: Er liegt noch immer bei etwa 5000 Watt. Mit Berufsflügen komme ich auf 6000.

Predigen Sie nicht weltweit die Idee der 2000-Watt-Gesellschaft?
Die Berufsreisen sind mein Dilemma. Dafür fahre ich kein Auto. Die 2000 Watt pro Person sind eigentlich kein präziser Begriff.

Es ist seit 15 Jahren Ihr Slogan!
Der Begriff bleibt leicht im Gedächtnis, er ist visionär. Aber er gibt Genauigkeit vor, in Bereichen, wo sich der Energieverbrauch schwer messen lässt. Beim Bauen können wir den genau berechnen. Beim Lebensstil ist das schwieriger. Täglich treffen wir dort tausend kleine Entscheidungen. Über die Hälfte des persönlichen Energieverbrauchs bestimmen wir selber. Wenn wir nur schon den durchschnittlichen Bedarf von heute 6300 auf 5000 Watt senken, wäre das ein riesiger Schritt. Doch er steigt noch immer.

Wer kein Auto besitzt, regional einkauft und Ökostrom bezieht, dafür in die Ferien fliegt und Fleisch isst, verbraucht rund 5500 Watt. Müssen wir auf noch mehr verzichten?
Es ist in der Schweiz heute unmöglich, mit nur 2000 Watt zu leben. Allein die Infrastruktur macht 1500 Watt aus. Und jeder hat etwas im Leben, das er nicht aufgeben möchte. Wichtig ist ein erster Schritt: Weniger fliegen, weniger Fleisch essen. Das ist ohnehin gesünder.

Was nützt es dem Weltklima, wenn die kleine Schweiz umweltbewusst ist, die USA aber nicht?
Wir wären die Vorreiter. Umwelt- und Ressourceneffizienz braucht neue Technologien. Man kann sie exportieren, damit Geld verdienen. Und: Die Konkurrenz schläft nicht. China könnte bald Vorreiter sein in Sachen grüne Technologien. Weil sie unter den Umweltzerstörungen leiden. Sie merken: Wir müssen den Riegel schieben.

Seit 30 Jahren wissen wir, was zu tun wäre. Warum machen wir es nicht?
Weil die Wirtschaft auf Wachstum ausgerichtet ist. Mit der Begründung: Das schafft Arbeitsplätze. Man hat Angst davor, die Art dieser Arbeitsplätze fundamental zu überdenken und mehr umweltfreundliche Produkte anzubieten.

Auch die Schweiz?
Mit dem Neoliberalismus der 90er-Jahre ist bei uns die Freude am Energiesparen gestorben. In den 80ern, nach der Ölkrise, war das ganz anders. Mit der Atomkatastrophe von Fukushima ist sie schlagartig angestiegen. Für mich ist jetzt Erntezeit, nach 35 Jahren Arbeit in dem Bereich. 100 Gemeinden und 22 Kantone haben sich zur 2000-Watt-Gesellschaft bekannt.

Dennoch steigt der Energieverbrauch. Sie sagen, 2050 dürfen wir nur noch 3500 Watt verbrauchen, als Zwischenziel. Hinken wir dem Zeitplan hinterher?
Städte wie Zürich, Basel oder Genf sind im Plan. Bei Neubauten sind wir gut aufgestellt. Viele Gemeinden und Leute machen erste Schritte. Was mich am meisten ernüchtert: Bei Autos, Geräten, Häusern hat sich die Energieeffizienz zwar enorm verbessert. Diese Erfolge werden aber komplett neutralisiert durch den Rebound-Effekt.

Das heisst: Statt nur einen Kühlschrank kaufen wir zwei. Wir beziehen Ökostrom für das Gewissen, fliegen dafür öfter.
Wir kaufen immer mehr, immer grösser. Darum versuchen wir zu zeigen, wie nachhaltige Lebensstile aussehen. Es geht nicht nur darum, den Gürtel enger zu schnallen. Verzicht ist ein furchtbares Wort. Energie zu sparen, ist keine Hungerkur, sondern ein Fitnessprogramm. Ein Sportmuffel wird nicht von heute auf morgen zum Extremsportler.

Sie haben einmal gesagt: Freiwilligkeit reicht nicht, um das 2000-Watt-Ziel zu erreichen.
In der Mobilität ist das Risiko am grössten, dass wir nichts einsparen. Mobilität ist eine heilige Kuh. Hier kommen wir um Vorgaben wie beim Bauen nicht herum. Oder wir erklären es zur Gewissenssache: dass es verpönt ist, einen riesigen Geländewagen zu fahren.

Von Verzicht zu sprechen, war lange ein Tabu. Was hat sich geändert?
Wir sprechen heute von Fitness statt Verzicht. Niemand will eine ökologische Tea-Party. Als der Bundesrat die Energiewende beschloss, war das eine epochale Weichenstellung. Jetzt merkt man: Alles hängt vom Lebensstil ab. Die Technologie kann noch so effizient sein, es reicht nicht. Weil die Leute einfach das Dreifache einkaufen. Trotzdem glaube ich, dass wir das Ziel schaffen. Vielleicht nicht in zehn, aber sicher in 30 bis 50 Jahren. Denn so zukunftsgläubig bin ich.

Sie sind sehr optimistisch.
Die Frage ist: Welchen Preis sind wir gewillt, für das Verschwenden der Ressourcen zu bezahlen? Je länger wir warten, desto teurer wird es, die negativen Folgen des Klimawandels zu bewältigen. Für mich ist die Frage nicht, ob wir die 2000-Watt-Gesellschaft schaffen. Sondern wann.

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