Einsatz im Himalaya
Bergretter Bruno Jelk in der Todes-Schlucht

Bruno Jelk (69) will sich am 8.April einen entspannten Sonntagabend machen. Um 22 Uhr lässt ihn das Telefon aus dem Sessel schnellen.
Publiziert: 23.04.2012 um 15:18 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 20:52 Uhr
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Mitten in der Opfersuche donnert am Unglücksort am Himalaya eine Nachlawine talwärts. Bruno Jelk hat sie fotografiert.
Foto: Fotos: Bruno Jelk, Isabelle Favre, Reuters
Von Roland Gamp

«Aufgebracht erzählte mir ein Mitarbeiter der Humanitären Hilfe von einer verheerenden Lawine in Pakistan, 135 Menschen seien verschollen», so Jelk. Der Chef der Rettungsstation Zermatt und Pionier der Bergrettung zögert nicht: «Ich sagte, dass ich vor Ort helfen will. Es blieb nicht mal Zeit, die Gefahren mit meiner Frau zu besprechen, ich musste sofort packen.»

Am nächsten Morgen sitzt Jelk im Flugzeug Richtung Himalaya. Mit Beat Dietrich vom Walliser Rettungsdienst und Matthias Hediger von der Humanitären Hilfe fliegt er nach Islamabad. Von dort fährt ein Konvoi an die indisch-pakistanische Grenze. «Unterwegs wurde mir bewusst, dass wir in einem der weltweit gefährlichsten Kriegsgebiete sind. Auf Schritt und Tritt wurde ich von Soldaten begleitet, die Maschinengewehre im Anschlag. Wir fuhren am Haus vorbei, in dem Bin Laden erschossen wurde – ein sehr unangenehmes Gefühl.»

Drei Tage braucht das Team für die 500 Kilometer Schotterstrasse. Am Donnerstag erreichen die Schweizer den Unglücks­ort im Bezirk Gayari. «Ich war sprachlos, als das Riesending vor mir lag. Zu Hause hielt ich die Grös­senangaben für übertrieben. Eine Lawine von diesem Ausmass hätte ich nicht für möglich gehalten», sagt Jelk.

Einen Kilometer lang und ­einen Kilometer breit ist der Lawinenkegel, der auf 4000 Meter Höhe ­einen Militärstützpunkt unter sich begrub. Bis zu 70 Meter hoch türmen sich die Eis- und Geröllmas­sen auf – darunter liegen 135 Menschen.

 «Ich musste feststellen, dass wir niemanden lebendig aus dem Schnee retten  können», sagt Jelk. «Die Lawine war einfach zu gewaltig.» Doch es gibt einen Bunker, in dem sich Soldaten befinden sollen. «Auch dort würden wir nur mit Glück Überlebende finden. Aber es war unsere einzige Chance.»

«Zu Fuss entkommt man keiner Lawine»

Auf Jelks Rat hin konzent­rieren sich die 300 Einsatzkräfte auf die Freilegung des Bunkers. Nur drei kleine Schaufelbagger und drei Laster funktio­nieren einwandfrei. «Das ist natürlich viel zu wenig. Nach stundenlangem Graben sah man praktisch keinen Fortschritt!»

Am neunten Tag nach dem Lawinenunglück schlägt ein Suchgerät an. Die Soldaten hoffen, ein Opfer freizugraben. «Es kam kein Mensch zum Vorschein, sondern nur ein Schlafsack», erzählt Jelk. Die pakistanischen Helfer sind am Ende ihrer Kräfte. Etliche haben Kameraden im Schnee verloren, brechen zusammen. «Es war eine grosse psychische Belastung. Ich versuchte zu ignorieren, dass ich über 135 begrabene Menschen laufe. Aber die­ser Gedanke ging nie ganz weg.»

Da donnert eine Nachlawine talwärts, an derselben Stelle wie die Todeslawine. «Die Arbeiter rannten wild umher. Aber zu Fuss entkommt man keiner Lawine», sagt Jelk. Er selbst bleibt stehen, nimmt den Fotoapparat und drückt ab. «Innerlich habe ich einfach gewartet. Und gehofft, dass es glimpflich ausgeht.» Die Männer haben Glück: Es ist eine Staublawine. Wäre fester Schnee oder Geröll mitgegangen, hätte es – so Jelk – eine «weitere Ka­tastrophe» gegeben.

Auch am zehnten Tag ist der Bunker nicht freigelegt, kein Toter geborgen. Auf Jelks Anraten hin werden 200 Soldaten abgezogen. «Das Gebiet ist sehr gefährlich. Wer an Ort und Stelle nichts tun kann, hat dort nichts verloren.» Auch er reist ab, berät die pakistanische Armee nun aus der Ferne. Alle Leichen zu bergen, hält er für unmöglich, «das würde Jahre dauern», sie blieben wohl für immer im Schnee. Das Wichtigste: «Sie müssen den Bunker bald finden. Sonst ist es auch für diese Menschen zu spät.»

Zurück in Zermatt ist Jelk nur noch müde. «Das war der extremste Einsatz meines Lebens.»

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