Eine Ex-Betreuerin von Carlos erhebt schwere Vorwürfe gegen die Resozialisierungs-Firma
Schwer erziehbare Jugendliche leben ohne Aufsicht

Ex-Angestellte der Vermittlungsfirma ohne Bewilligung packen aus. Carlos ist nicht das einzige Problem-Kid, dessen Betreuung zu wünschen übrig liess.
Publiziert: 05.09.2013 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 03.11.2019 um 08:12 Uhr
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«Ungerechtfertigt»: Carlos sieht sich als Opfer der Behörden.
Foto: J.G.
Von Barbara Lanz

Der Vorwurf wiegt schwer: Anna-Lisa Oggenfuss und Rolf Riesen, Gründer der nach ihnen benannten Resozialisierungs-Agentur, machen Kasse auf Kosten von Jugendlichen – sagt eine ehemalige Mitarbeiterin der ­Riesen Oggenfuss GmbH. BLICK deckte auf, dass die Firma, die auch die Betreuung von Messerstecher Carlos (18) organisierte, weder eine Heim- noch Vermittlungsbewilligung hat. Jetzt packen mehrere Ex-Angestellte aus.

Sie berichten über das Los weiterer Problem-Kids. Während Carlos nämlich in einer 4,5-Zimmer-Wohnung in Reinach BL eine Rundumbetreung genoss, erging es anderen weniger gut. Man überliess sie sich selbst. «In einer Wohnung in Zürich-Seebach lebten teilweise vier bis fünf junge Männer ohne Betreuung», sagen zwei ehemalige Mitarbeiter. Nur einmal pro Woche sei jemand zum Nachtessen vorbeigegangen. «Dabei wäre gerade bei schwierigen Jungs im Teenageralter eine enge Betreuung wichtig.» Allerdings. Vor allem wenn die Behörden dafür zahlen.

Kaum ausgebildetes Personal

Bis zu 16 Jugendliche habe Riesen Oggenfuss gleichzeitig betreut, in mehreren Wohnungen im Kanton Zürich. Ausgebildetes Personal habe es kaum gegeben, sagen die Ehemaligen. Man habe oft über pädagogische Grundsätze diskutiert, sei aber bei der Firmenleitung auf taube Ohren gestossen.

Kontrolle seitens der Behörden habe es keine gegeben. «Werden die Kinder nicht gemeldet, kommt auch keiner vorbei.» Wie kann es sein, dass eine Institution, die mit jungen – teilweise straffälligen – Menschen arbeitet, Geld kassiert und von niemandem kontrolliert wird? Bei der Justizdirektion will man sich dazu nicht äussern. Man bereite gerade die Medienkonferenz von heute zum Fall Carlos vor, hiess es gestern. Dort gebe es dann auch Antworten zu Fragen der Heimplatzierung. Und zum Thema Riesen Oggenfuss.

«Fremd­platzierte Kinder schlechter registriert als Kühe»

Die Firma selbst schweigt. Auch auf mehrmalige BLICK-Nachfrage. Unklar ist deshalb, ob Anna-Lisa Oggenfuss und Rolf Riesen überhaupt noch Kinder bei sich haben oder ob die Jugend­anwaltschaft schon gehandelt hat. Klar ist aber: Institutionen wie Riesen Oggenfuss sind verbreitet. «Es gibt über 60 private Familienplatzierungs-Organisationen in der Schweiz», sagt Mirjam Aebischer, Geschäftsführerin des Fachverbands für Sozial- und Sonderpädagogik, Integras.

Sie bestätigt das Problem fehlender Kontrolle. «Es wäre ein grosser Schritt, wenn die Kantone einheitliche Qualitätsstandards einfordern würden», sagt sie. Im Sozialwesen gebe es ein ­geflügeltes Wort: «Fremd­platzierte Kinder sind in der Schweiz schlechter registriert als Kühe.» Gerade deshalb sei es so wichtig hinzuschauen.

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