Drei Gemeinden, drei Brennpunkte
Der grosse Asyl-Report

Asylbewerberheime sorgen in vielen Schweizer Städten für Aufregung. Die Folge: Proteste, Angst, Rechtsstreitereien. BLICK besuchte drei Brennpunkte: Losone, Laax und Aarburg.
Publiziert: 26.01.2015 um 19:24 Uhr
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Aktualisiert: 13.10.2018 um 23:49 Uhr
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«Warten wir ab, was passiert. Lassen wir die Asylbewerber doch erst mal hier ankommen. Wahrscheinlich ist alles viel Geschrei um nichts.» Lukas Züst (25), Pistenmaschinenfahrer, Laax.
Foto: Toini Lindroos

Brennpunkt Laax GR: Es wird gehämmert, gesägt, gebohrt. Im Hotel Rustico wird emsig renoviert. Mitte Februar sollen die ersten 20 Flüchtlinge einziehen. Weitere folgen. Das ehemalige Drei­sternehaus bietet Platz für rund 100 Personen. Die meisten kommen wohl aus Eritrea und Syrien.

Marcel Suter (49) führt durch das neuste Asylbewerberzentrum des Kantons. Alle Zimmer haben Bad, Balkon und Blick aufs verschneite Bündner Oberland. «Die Suiten sind für die Familien gedacht», sagt der Chef des Bündner Migrationsamts. Über 80 000 Franken steckt der Kanton in den Bau, vor allem wegen der Brandschutzauflagen. Suter gibt zu: «So etwas Luxuriöses hatten wir noch nie.»

Zwei Jahre musste der Kanton warten. So lange kämpften Gemeinde und Bevölkerung gegen das Projekt. Heute wirkt der Skiort auffallend friedlich, als habe man resigniert – obwohl die Mehrheit die Flüchtlinge immer noch nicht im Dorf haben will. Eine Beschwerde von den Stockwerkeigentümern der angrenzenden Ferienhäuser ist noch hängig, sie hat aber keine aufschiebende Wirkung.

Viele Anwohner haben sich noch nicht mit dem Entscheid abgefunden, wie Dagmar Becker (46) sagt: «Wir wehren uns bis zuletzt, denn für uns wird es besonders unangenehm.» Sie soll künftig Garage und Waschraum ihrer Ferienwohnung mit den Asylbewerbern teilen. «Ich bin nicht fremdenfeindlich. Aber in den Ferien möchte ich mich ­erholen und nicht mit der Not der Welt konfrontiert werden.»

Auch Daniel Zimmermann  (25) findet den Standort unpassend: «Ein Zentrum für Asylbewerber gehört nicht in einen Ferienort. Mit dem Entscheid tut man beiden Seiten keinen Gefallen.» Genauso denkt Reto S.*: «Hier treffen die ärmsten auf die reichsten Leute. Die Asylbewerber bekommen den Eindruck, das Leben bestünde nur aus Partymachen und Geldausgeben.» Um mitzuhalten, reiche das Taschengeld der Flüchtlinge aber nicht. «Laax ist sauteuer.»

Eigentlich hätte das Heim bereits am 1. Juli 2013 eröffnet werden sollen. Aber erst im September wies das Bundesgericht die Beschwerde der Gemeinde ab. Leidtragende seien die Asylbewerber, die aus Mangel an Plätzen in Bunkern platziert wurden, sagt Georg Carl. Er ist Abteilungsleiter Asyl und Vollzug Graubünden. «Es wird immer enger. Zum ersten Mal mussten wir auch Frauen in die Bunker einquartieren. Wir haben keine Wahl.»

Andere in Laax sehen den Neuzuzügern gelassen entgegen. «Warten wir doch ab, was passiert», sagt Pistenmaschinenfahrer Lukas Züst (25). «Lassen wir die Asylbewerber erst einmal ankommen. Wahrscheinlich ist alles nur viel Geschrei um nichts.»

Brennpunkt Losone TI: Drei Monate nach Einzug der ersten Flüchtlinge in die ehemalige Kaserne zieht die Gemeinde Bilanz: keine Diebstähle, keine Gewalt ausserhalb des Heims. Bislang jedenfalls. Losone sei kein zweites Chiasso.

Rund 150 Menschen leben in der einstigen Truppenunterkunft am Ortsrand. Über 90 Prozent sind junge Männer –meist aus Eritrea und Somalia. Losone fürchtete Räubereien, Pöbeleien, Vandalismus. Doch die Flüchtlinge benehmen sich.

Fausto Fornera (39) ist Beauftragter für Sicherheit und Verkehr in der Gemeindeverwaltung des Tessiner Orts mit 6500 Einwohnern. Er sagt, mit ein Grund für die positive Bilanz sei die Nonstop-Überwachung. «Besonders bei Parks, Schulen, Geschäften und Tankstellen. Die Präsenz zeigt Wirkung.» Hinzu kommen erfolgreiche Beschäftigungsprogramme: «Fast täglich sind drei Mannschaften von je acht Asylbewerbern unterwegs. Sie halten Wälder und Wege sauber. Wer arbeitet, lungert nicht herum.» Voller Lob ist auch Carlo Ambrosini (41),

Präsident des Patriziats: «Da sind der Golfplatz, Wald und rund 40 Kilometer Wege. Die werden nun von den Flücht­lingen gepflegt. Sie wollen arbeiten. Selbst bei strömendem Regen. Dass Asylbewerber Faulenzer seien, kann ich nicht bestätigen.»

Nicht alles ist eitel Sonnenschein. «Natürlich gibt es auch Beschwerden», räumt Fausto Fornera ein. «Manchen Bürger stört, wenn die jungen Männer auf den Parkbänken sitzen und Bier trinken. Und im Zentrum selber wurde ein Eritreer (22) wegen versuchter Vergewaltigung einer Asylbewerberin verhaftet. Auch wegen einer Schlägerei musste interveniert werden.»

Dennoch hat Rosa Frei (67) nichts gegen ihre neuen Nachbarn. Sie ist Hausmeisterin im Wohnblock gegenüber und sagt: «Es sind freundliche Leute. Sie grüssen und tun niemandem etwas.» Auch die Schülerinnen Mirella (14) und Ambra (13) zeigen Verständnis. «Meine Freundinnen haben Angst vor den Flüchtlingen. Ich nicht», sagt Mirella, und Ambra fügt hinzu: «Es sind arme Menschen. Ich finde gut, dass wir Schweizer ihnen helfen.»

Viele Bürger hätte ihre Hilfe angeboten, sagt Fausto Fornera. «Eine Kleidersammlung mussten wir nach ein paar Tagen stoppen. Es wurde einfach zu viel gespendet.» Brennpunkt Aarburg AG: Mit Protest-Bratwürsten und Auto-Blockaden hatte sich die Aargauer Gemeinde gegen neue Asylwohnungen gewehrt. Der Widerstand machte die Gemeinde mit 7300 Einwohnern schweizweit bekannt. Es nützte nichts: Seit Juli sind rund 90 Asylbewerber an der Lindengutstrasse eingezogen, über 100 wohnen in ganz Aarburg.

«Der Kanton bürdet uns zu viel auf», sagt Felix Grendelmeier (41), Anwohner und Protestführer. «Wir haben schon einen Ausländeranteil von 42 Prozent. In gewissen Schulklassen sind 100 Prozent Ausländerkinder.»

Die Gemeinde kämpft juristisch gegen den Entscheid des Kantons. Auch Felix Grendelmeier wehrt sich weiter: «Aarburg verlangt Solidarität. Wenn niemand etwas unternimmt, ist unsere Gemeinde in absehbarer Zeit bankrott, weil unsere Sozialhilfekosten explodieren.»

Der Gemeinderat versucht, dem Kanton anhand von Zahlen, Tabellen und Grafiken das aus seiner Sicht akute Asylproblem vor Augen zu führen. SVP-Gemeinderätin Martina Bircher (30), zuständig für Soziales, erstellte eine Statistik: «Sie zeigt, dass Asylbewerber auch nach Annahme ihres Asylantrags hohe Sozialhilfekosten verursachen.» Die müsste dann nicht mehr der Kanton, sondern die Gemeinde übernehmen. Sie prognostiziert: «Unsere Sozialhilfeausgaben werden in den nächsten Jahren um 1,5 Millionen Franken steigen.» Knapp 45 Prozent der Sozialhilfebezüger in Aarburg sind laut Bircher ehemalige Asylbewerber. Und: «Wir haben mit 5,8 Prozent die höchste Sozialhilfequote im Kanton Aargau.»

Laut Gemeindeammann Hans-Ulrich Schär (49) verhalten sich die neuen Asylbewerber friedlich: «Die Lage ist ruhig. In den Unterkünften, in denen Familien untergebracht sind, gibt es keine grossen Probleme.» In den beiden Männerheimen patrouilliert die Polizei aber häufiger.

* Name der Redaktion bekannt

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