BLICK: Warum verbreitet Krebs einen derartigen Schrecken?
Thomas Cerny: Krebs ist eine Metapher in der Medizin. Sie steht für das, was früher die Pest, die Cholera oder die Syphilis und Tuberkulose waren. Bis zum 85. Lebensjahr ist Krebs weltweit die Todesursache Nummer 1. In der Schweiz haben wir über 40000 Neuerkrankungen im Jahr. Jeder zweite bis dritte Mann, jede dritte bis vierte Frau erhält irgendwann im Leben die Diagnose Krebs.
Wird der Krebs eines Tages besiegt?
Nein. Krebs ist ein Teil der Natur. Er ist in unseren Genen angelegt. Im Kampf ums Überleben lebte jede Spezies primär gerade so lange, dass sie sich reproduzieren kann. Beim Menschen reicht dazu eine Lebensspanne von etwa 40 Jahren und da war Krebs in der Evolution noch kein Selektionsfaktor. Krebs wird erst danach wichtig: die Krebsrate steigt ab dem Alter von 50 bis 60 erst richtig an, bis zu etwa zum 85. Lebensjahr.
Verläuft der «Alterskrebs» weniger stürmisch als in jungen Jahren. Stimmt das?
Nein. Allerdings treten viele meist weniger aggressive Krebsarten wie Prostatakrebs, hormonabhängiger Brustkrebs und Lymphdrüsenkrebs besonders mit zunehmendem Alter auf. Aber ein aggressiver Krebs bleibt auch im Alter gefährlich.
Sie haben einmal vom «Schweigen der Zellen» geredet. Was heisst das?
Jede Zelle trägt die gesamte genetische Information in sich. Aber 99,9 Prozent davon bleibt nach dem Ende des Körperwachstums inaktiv. Die Zelle «schweigt» und aktiviert nur einen minimen Bruchteil der Gene, je nach der ihr zugeteilten Funktion. Eine Zelle produziert zum Beispiel ein Hormon, eine andere liefert Knorpelsubstanz. Erst wenn dieses «Schweigen» durch genetische Fehler gebrochen wird, kann sich ein Krebs entwickeln: es werden schlummernde Wachstumssignale wieder geweckt, welche die Zellteilung und die Wanderungsbereitschaft der Zelle aktivieren.
Wie passiert das?
Irgendetwas verändert die Gene der Zelle. Ein chemischer krebserregender Stoff, zum Beispiel im Zigarettenrauch oder in der Ernährung, radioaktive Strahlen der irdischen und kosmischen Strahlung, UV-Licht und auch Infektionen können eine Mutation, also eine Genveränderung auslösen. Eigentlich können die Zellen solche DNA-Veränderungen lange reparieren und lange nicht alle Mutationen führen zu Krebs – zum Glück. Aber mit zunehmendem Alter machen die Zellen immer mehr Fehler und die sammeln sich an. Die Abwehr- und Reparturkapazität wird schwächer.
Wie lässt sich dies bei Patienten feststellen?
Besonders gut kann man dies bei der Entstehung von Dickdarmkrebs durch die regelmässige Darmspiegelung beobachten: Meist sind zuerst kleine noch gutartige Ausstülpungen sichtbar und – wenn man sie nicht entfernt – entstehen grössere Polypen und daraus schliesslich Dickdarmkrebs. In den Gewebeuntersuchungen können wir das molekulargenetische Profil heute individuell immer genauer definieren und entscheidende Hinweise über die Bösartigkeit und die relevanten Therapieoptionen erhalten.
Wann soll man Darmkrebs-Früherkennung machen?
Man sollte ab 50 alle zehn Jahre eine Dickdarmspiegelung machen lassen. Werden Polypen oder andere Vorstufen entdeckt, kann man sie gleich herausschneiden, bevor sie sich zu einem Tumor entwickeln.
Funktioniert das auch bei anderen Krebsarten?
Nur sehr bedingt. Man darf nicht vergessen: Es gibt 210 Arten von Krebs. Der Magen-Darm Trakt ist ein langer Hohlraum, er lässt sich leicht spiegeln in seinem ersten und letzten Meter, dazwischen aber nicht. Die Haut ist natürlich gut zu inspizieren und auch die Genitalorgane lassen sich in gewissen Bereichen zuverlässig untersuchen. Aber viele Organe leider nicht. Bei der Lunge zum Beispiel kann man nur die grossen Luftwege spiegeln, weiter peripher ist das Organ wie ein Baum tausendfach verästelt. Die Bauchspeicheldrüse liegt versteckt, man kann sie überhaupt nicht spiegeln. Ein Grund dass wir hier fast keine Frühstadien kennen und die Krankheit meist spät entdeckt wird. Da sind wie heute leider nicht viel weiter als vor 30 Jahren. Bei andern Früherkennungsuntersuchungen wie bei der Brustdrüse müssen wir heute noch auf Röntgen- und Ultraschall-Untersuchungen basieren.
Immer wieder hört man von einem «Durchbruch» in der Krebstherapie. Wo sind wir heute besser als vor 30 Jahren?
Hier kommt nun ein lange ersehnter Traum näher an die Realität. Wir wussten schon seit längerem, dass unser Immunsystem in der Lage ist, einen wesentlichen Teil der Krebszellen zu erkennen und zu eliminieren. Warum geschieht dies nicht zuverlässig und wie kann die Tumorzelle sich der Erkennung durch die Immunzellen entziehen? Wir wissen heute wie die Krebszelle diese Immunzellen trickreich paralysiert und haben nun erste entsprechend wirksame Medikamente. Dadurch wird dass gelähmte Immunsystem wieder aktiv und kann die Tumorzellen direkt angreifen und eliminieren. Nun zeigt es sich, dass dies bei mehreren Tumorarten hervorragend funktioniert, zum Beispiel beim schwarzen Hautkrebs und dort wohl auch eine vorerst noch kleine Gruppe von Patienten heilen wird.
Immer wieder ist die Rede von Immuntherapie, der CAR-T-Zell-Therapie. Was ist das?
Diese zelluläre Immuntherapie ist gerade daran, erste grosse Erfolge zu zeigen bei sehr aggressiven Leukämien und Lymphdrüsenkrebsarten. Hier müssen dem Patienten Immunzellen aus dem Blut genommen werden und genetisch gezielt so verändert und damit «umgeschult» werden, dass sie nun die eigenen bösartigen Zellen als fremde Zellen erkennen und wie ein «Fremdorgan» radikal abstossen. Dies ist noch sehr kompliziert, aufwändig und auch hochgefährlich, aber die ersten Resultate der noch kleinen Patientengruppen sind schon fantastisch.
Glaubt man der Pharmaindustrie, dann ist sie mit neuen Medikamenten dem Sieg über den Krebs schon sehr nahe.
Jeder einzelne Tumor ist anders und er reagiert mit jeder Therapie anders. Bisher hat man nur beim Schwarzen Hautkrebs und beim Lungenkrebs gewisse Erfolge mit der Car-T-Zelltherapie. Grob gesagt, wird dazu das Immunsystem eingesetzt, um die Krebszellen zu zerstören. Die Heilungsrate könnte bei 20 bis 30 Prozent liegen. Trotzdem darf man nicht vergessen: diese Therapien sind hochintensiv, hochkompliziert und hochgefährlich.
Auch die Nebenwirkungen der Chemotherapie machen Angst. Ist das immer noch so?
Viele Therapien sind heute viel besser verträglich, einfacher und wirksamer geworden als früher. Unsere Patienten wissen dies bald, wenn sie gestartet haben, aber dieser «Anfangsschreck» ist auch die verständliche Reaktion auf das Ungewisse. Es gibt aber schon noch die sehr intensive und belastende Therapie bei sehr aggressiven lebensbedrohlichen Situationen, wo es meist um Leben und Tod geht.
Im Internet kursieren die wildesten Theorien über Krebsrisiken. Gehören Handystrahlen dazu?
Nach dem heutigen Forschungsstand: Nein. Es gibt keine überzeugende Studie, die das schädlich ist. Trotzdem muss man dies weiter untersuchen, da es noch zu früh ist Langzeitfolgen auszuschliessen.
Welche Rolle spielt die Seele bei Heilung und Behandlung von Krebs?
Man weiss, dass depressive Menschen allgemein gefährdeter sind bei Krankheiten stärker und häufiger auch mit schlechterem Ausgang zu erkranken als Menschen ohne Depression. Aber der Schluss, dass unglückliche Menschen oder Menschen mit seelisch belasteter Lebensgeschichte eher an Krebs erkranken, stimmt offenbar nicht.
Auch «Superfoods» von der Acai-Beere bis zu Quinoa sollen Krebs verhindern helfen.
Das Essen spielt eine wesentliche Rolle. Diabetiker erkranken zum Beispiel häufiger an Krebs – alles hängt mit allem zusammen. Wir empfehlen grundsätzlich die Mittelmeerkost, da es dafür eine Unzahl positiver Studien gibt: viel Obst und Gemüse, Olivenöl, wenig rotes Fleisch, eher Fisch und wenig Alkohol. Dabei ist es immer eine Frage des richtigen Masses. Wer am Wochenende mässig Wein oder Bier trinkt, ein Steak isst und sich ein Dessert gönnt ist nicht gefährdet. Die wichtigste Massnahme bliebt aber das Nichrauchen!
Der international renommierte St. Galler Arzt Thomas Cerny (65) gilt als einer der führenden Tumorspezialisten in der Schweiz. Als Chefarzt der Onkologie am Kantonsspital St. Gallen behandelte er auch Entertainer Kurt Felix (†71) bis zu dessen Tod im Jahr 2012. Schon 1995 wurde Cerny der Robert-Wenner-Preis der Schweizer Krebsliga für herausragende Wissenschaftler unter 45 verliehen. Cerny ist Präsident der Krebsforschung Schweiz.
Der international renommierte St. Galler Arzt Thomas Cerny (65) gilt als einer der führenden Tumorspezialisten in der Schweiz. Als Chefarzt der Onkologie am Kantonsspital St. Gallen behandelte er auch Entertainer Kurt Felix (†71) bis zu dessen Tod im Jahr 2012. Schon 1995 wurde Cerny der Robert-Wenner-Preis der Schweizer Krebsliga für herausragende Wissenschaftler unter 45 verliehen. Cerny ist Präsident der Krebsforschung Schweiz.
Gibt es eigentlich auch Wunder?
Die unerklärlichen Fälle werden weltweit gesammelt. Aber sie sind äusserst selten. Ich sehe diese Fälle nicht als Wunder, sondern als noch ungelöste Fälle.
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