Eine Mischung aus Todessehnsucht und Neugier bewegt Markus D.* (49) zu dem Inserat in einem Kannibalen-Forum: «Ich möchte sterben und suche jemanden, der mich schmerzfrei tötet», schrieb der Schweizer auf Englisch. Einen Tag später meldet sich Matej C.: «Hi. Wenn du bereit bist, in die Slowakei zu reisen, bin ich interessiert, dich zu verspeisen. Kein Witz, kein Spiel, echt.»
Das ist jetzt fünf Jahre her. Der slowakische Kannibale ist inzwischen tot, er wurde bei einem Schusswechsel mit der Polizei tödlich verletzt. D. hatte ihn nach einem mehrwöchigen E-Mail-Wechsel bei der Polizei verraten. «Ich war der Köder für einen Kannibalen», sagt D. zu BLICK. Jetzt will das Beinahe-Opfer die Geschichte in einem Buch verarbeiten. Es soll im Frühjahr oder Sommer 2017 herauskommen – im Eigenverlag.
Der Schweizer geriet mitten in einen der aufsehenerregendsten Kriminalfälle der Slowakei. Medien spekulieren über weitere Morde von Matej C. – schliesslich findet die Polizei die Leichen von zwei jungen Frauen in der Nähe seines Hauses.
«Wie werde ich geschlachtet?»
Die Geschichte beginnt im Jahr 2011, als D. nach schweren Problemen am Arbeitsplatz von ernsthaften Suizidgedanken geplagt wird. «Ich wollte sterben», sagt der gelernte Informatiker. Ein Artikel über Kannibalismus fasziniert ihn – eine Internet-Recherche bringt ihn schliesslich auf das einschlägige Forum.
D. veröffentlicht am 18. April 2011 das Inserat. «Für mich war es ein makaberer Witz, ich hatte keine ernsten Absichten», so der heute 49-Jährige. Doch die Antwort des Slowaken Matej C. weckt seine Neugier, es folgt ein knapp dreiwöchiger E-Mail-Verkehr zwischen den beiden. «Erst im Laufe der Konversation wurde mir immer mehr bewusst, dass er es wirklich ernst meinte.»
Ein Auszug des Dialogs, der BLICK vorliegt, zeigt, wie die beiden das Vorgehen im Detail planen. D. will etwa wissen, was nach seinem Tod genau passiert: «Werde ich in einem Gebäude geschlachtet? Werde ich dabei an den Füssen aufgehängt? Was machst du mit den Organen? Verbrennst du sie?»
Matej C. antwortet in unbeholfenem Englisch: «Die Schlachtung findet im Wald statt, wo du stirbst. Kein Aufhängen. Ich weiss, wie ich dich im liegen aufschneiden muss. Ich nehme die Leber und die Niere, das andere begrabe ich mit dem Körper. Objekte vergrabe ich, Feuer im Wald könnte von Zeugen gesehen werden.»
«Ich weiss noch nicht, wie ich die Organe koche»
Auch der Kannibalismus ist ein Thema. D. fragt: «Gefällt es dir, mich zu töten und zu schlachten oder geht es dir nur ums Essen?» Matej C. antwortet: «Ja, mir gefällt es zu töten. Aber es muss ein Freiwilliger sein.» In einer anderen E-Mail schreibt er: «Ich weiss noch nicht, wie ich die Organe kochen werde, dazu brauche ich ein Kochbuch. Ich mag Hühner- oder Schweineleber. Darum möchte ich auch die eines Menschen probieren.»
Der Slowake erzählt D., er habe bereits eine Frau getötet, die freiwillig sterben wollte und schickt ihm Fotos der Leiche als Beweis. Die beiden machen einen Termin ab, sprechen über den Treffpunkt, Matej C. mailt dem Schweizer einen Zug-Fahrplan.
D. wird es zu viel: Er informiert in der Schweiz die Polizei, schickt ihnen die E-Mails und die Bilder der Frauenleiche. Doch die Beamten wollen ihm erst nicht glauben. Erst nach sechs Tagen meldet sich ein Spezialist, der nach Gesprächen mit D. Interpol und die slowakischen Behörden informiert.
«Das war eine kritische Zeit», sagt D. Aus dem makaberen Scherz war gefährlicher Ernst geworden – der Todeswunsch war noch immer da, die Lösung zum Greifen nah. Der Schweizer überlegt ernsthaft, auf das Angebot des Kannibalen einzugehen und in die Slowakei zu reisen. «Die Chancen waren etwa 50/50».
Er hatte Pfeffer und Gewürz-Mischungen dabei
Doch die Polizei meldet sich und macht den Grüblereien ein Ende. Damit es nicht auffällt, führt D. die virtuelle Konversation weiter – unter den Augen der Polizei. D. gibt ihnen sein E-Mail-Passwort. Matej C. glaubt bis zum Rendez-Vous-Termin am 10. Mai 2011, dass er Besuch von Markus D. erhält. In seiner Tasche hat er eine Säge, Messer, Schmerzmittel, drei Gewürz-Mischungen und schwarzen Pfeffer – diesen, um den Verwesungsgeruch zu vertuschen.
Doch am Treffpunkt, einem Bahnhof im slowakischen Kysak, warten ein Polizist in zivil sowie mehrere Scharfschützen, um ihn zu verhaften. Der geübte Sportschütze Matej C. zückt seine Pistole und schiesst auf den Polizisten – dieser wird schwer verletzt, überlebt den Lungenschuss jedoch. Der Kannibale wird bei der Schiesserei verletzt und verstirbt später im Spital.
Daten auf dem Computer des Täter führen die Polizei zu einem Altar mitten im Wald: Dort findet sie die Leichen von Lucia Uchnárová († 21) und Elena Gudjáková († 30) – beide hatten sich vor ihrem Verschwinden in Selbstmordforen aufgehalten. Ein Chat-Protokoll zwischen Matej C. und der schönen Lucia zeigt, wie die beiden ihren Tod geplant haben. «Wenn du sterben willst, kann ich dir helfen», schrieb er.
Auch nach mehreren Jahren hat D. die Geschehnisse nicht verdaut. Doch er hat einen Weg gefunden, damit fertig zu werden. «Das Schreiben hilft mir, das Erlebte zu verarbeiten», sagt er. Vor zwei Jahren habe er auf Anraten eines Freundes damit angefangen.
Wenn das Buch fertig ist, will Markus D. in die Slowakei reisen und sich die Schauplätze mit eigenen Augen ansehen. Um dann endgültig mit der Geschichte abschliessen.
*Name der Redaktion bekannt.