Der oberste Lehrer der Schweiz zur Handschlag-Dispens von Therwil BL
Streitet man im Schulzimmer nur noch über Religion?

Dass sich muslimische Schüler weigern, Lehrerinnen die Hand zu geben, ist für Beat W. Zemp nicht tolerierbar. «Der Händedruck ist Teil unserer Kultur», sagt der Präsident des Schweizer Lehrerverbands im Interview.
Publiziert: 04.04.2016 um 13:35 Uhr
|
Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:57 Uhr
Beat W. Zemp, Präsident des Dachverbands der Schweizer Lehrerinne und Lehrer, hält den Entscheid der Schule Therwil für falsch.
Foto: Keystone
Interview: Lea Hartmann

Herr Zemp, weil sich zwei Schüler der Sek Therwil aus religiösen Gründen weigern, der Lehrerin die Hand zu geben, haben sie eine Handschlag-Dispens erhalten. Was halten Sie vom Entscheid der Schule?
Ich hätte als Schulleiter sicherlich anders entschieden. Der Händedruck ist Teil unserer Kultur. Es gilt zu bedenken, dass die Schüler nach der Schulzeit – sei dies beruflich oder privat – bestimmt in Situationen kommen werden, in denen es als sehr unhöflich betrachtet wird, wenn sie sich weigern, einer Frau die Hand zu geben. Deshalb ist es wichtig, dass die Lehrerinnen und Lehrer den Schülern die hiesigen Gepflogenheiten beibringen.

Ist die Verweigerung des Handschlags gegenüber Lehrpersonen für Sie als Präsident des Lehrerverbands ein bekanntes Problem?
Nein, die Problematik war bislang nicht auf dem Radar des Lehrerverbands. Ich bin aber überzeugt, dass es in über 99 Prozent der Klassen auch gar kein Thema ist, schliesslich gibt man sich an den meisten Schulen zu Beginn oder am Ende des Unterrichts gar nicht die Hand. Beim Fall Therwil handelt es sich klar um einen Einzelfall, weshalb wir als Verband nicht planen, deswegen schweizweite Empfehlungen an unsere Mitglieder abzugeben.

Die betroffene Schule hat den Kanton Baselland eingeschaltet, der nun ein Gutachten zum Thema erstellt. Hätte die Schule nicht einfach selbst entscheiden können?
Doch – und dies wäre aus meiner Sicht auch die beste Lösung gewesen. Weil keine kantonale Regelung besteht, liegt der Entscheid in der Hand der Schulleitung. Ich gehe davon aus, dass diese nach den Reaktionen auf den gestrigen Artikel nun nochmals über die Bücher gehen wird und ihren Entscheid überdenkt. Ich setze zudem auf die Einsicht der jungen Männer, auch weiblichen Lehrpersonen die Hand zu geben, wenn dies die Situation erfordert und an einer Schule üblich ist.

Die Sek Therwil hat sich wegen der Handschlag-Verweigerung an das kantonale Bildungsdepartement gewandt.
Foto: Beat Michel

Die Burkini-Diskussion, der Kopftuch-Knatsch – nun der Streit um das Händeschütteln: Täuscht der Eindruck oder werden religiöse Debatten vermehrt im Schulzimmer geführt?
Dass die verschiedenen Religionen unsere öffentlichen Schulen vor Herausforderungen stellen, ist nicht neu. Schon früher gab es Probleme mit religiösen Praktiken und Gepflogenheiten – und dabei ging es bei Weitem nicht immer um den Islam. In den USA gibt es beispielsweise Schulen, die aufgrund des Protests von Kreationisten nur noch die biblische Schöpfungsgeschichte und nicht mehr die Evolutionstheorie von Darwin behandeln dürfen. Dass die Diskussionen in letzter Zeit häufiger werden, hat damit zu tun, dass die Gesellschaft und damit auch unsere Schulklassen heterogener geworden sind und mehrere Religionen vertreten sind. Da ist es klar, dass ganz neue Problematiken auftauchen, die besprochen werden müssen.

Muslimische Schüler müssen Lehrerin nicht die Hand geben

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?