Der irre Killer von Würenlingen
Wieso mordete er trotz Medikamenten?

Semun A.* († 36) erschoss am Samstagabend vier Menschen und sich selbst. Der Killer war bis kurz vor der Tat in einer Klinik untergebracht. Wie werden Patienten wie er behandelt? Blick.ch hat bei Thomas Knecht, Facharzt für Psychiatrie, nachgefragt.
Publiziert: 13.05.2015 um 23:22 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 03:26 Uhr
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Semun A. († 36) und seine Ehefrau bei ihrer Hochzeit.
Foto: ZVG
Von Georg Nopper

Semun A. wurde eine fürsorgerische Unterbringung verordnet, er erhielt vor seiner Entlassung ein Depotmedikament mit zweiwöchiger Wirkung. Haben Sie aufgrund der bekannten Informationen eine Vermutung, was für eine Krankheit behandelt wurde?
Thomas Knecht: Über den konkreten Fall habe ich keine Informationen. Aber diese Medikamente eignen sich für Psychosen aller Art. Das heisst: Schizophrenie, Manie und organische Psychosen, wenn zum Beispiel das Gehirn geschädigt worden ist.

Wie wirkt ein Depotpräparat? Nimmt die Wirkung mit der Zeit ab?
Es blockiert in erster Linie die Dopamin-Rezeptoren und dämpft dadurch die überschüssige Hirnaktivität. Das Entscheidende am Depot ist, dass es sich im Körper nur langsam verteilt und deshalb eine langanhaltende Wirkung entfaltet. Je nach Präparat hält die Wirkung zwei bis vier Wochen an.

Wann kommt es zum Einsatz von Depotpräparaten?
Wenn es wichtig ist, dass ein Patient sein Medikament ununterbrochen intus hat.

Vor allem Neuroleptika werden als Depotmedikament verabreicht. Was machen sie mit einem Patienten?
Sie machen ihn ruhiger, vermindert die Aggressionen. Sie beseitigen allfällige Wahnideen und Halluzinationen. Dadurch wird der Realitätsbezug des Patienten gestärkt.

Gibt es Nebenwirkungen von Langzeit-Neuroleptika?
Je nach Präparat sind folgende Nebenwirkungen möglich: Unwillkürliche Bewegungen, zum Beispiel im Gesicht, Müdigkeit und Schweregefühl, die sexuelle Potenz wird geschwächt.

Wie konnte es trotz der Medikation des Täters zu der Tragödie in Würenlingen kommen?
Man darf nicht glauben, dass jede Tötungsabsicht ein direkter Ausdruck der Krankheit ist. Wenn der Hass oder die Tötungsabsicht nicht auf Wahnideen beruhen, müssen sie durch die Einnahme der Medikamente nicht beseitigt werden. Mit anderen Worten: Ein Tötungsplan verschwindet wegen den Medikamenten nicht, sofern er nicht zu hundert Prozent aus einem Wahn heraus geboren worden ist.

Darf man diese Medikamente einem Patienten gegen seinen Willen verabreichen?
Ja; wenn alle anderen Mittel versagen, kann ein Chefarzt eine Spritze von Neuroleptika auch gegen den Willen des Patienten anordnen. In der Klinik ist das kein Problem. Aber wenn der Patient nach Ablauf einer fürsorgerischen Unterbringung nicht zum vereinbarten Termin erscheint, läuft die Wirkung des Depot-Medikaments aus. Die andauernde Verabreichung von Depot-Spritzen gegen den Willen eines Patienten ist vom Bundesgericht bisher nicht genehmigt worden.

* Name der Redaktion bekannt

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