Zehn Jahre alt ist E. W.*, als für ihn die Hölle beginnt: Immer wieder vergeht sich sein vier Jahre älterer Bruder P. W.* an ihm. Erst als 16-Jähriger traut er sich, über den Horror im Kinderzimmer zu sprechen. Gestern musste sich der heute 21-jährige P. W. vor dem Bezirksgericht Zürich verantworten.
In seiner Arbeitskleidung stand der Gärtner kurz nach 14 Uhr vor dem Richter und sagte: «Ich habe keine Erklärung für das, was passiert ist.»
Das, was passiert ist, macht sprachlos: Die Familie ist in den Ferien in Österreich, als es 2009 zum ersten Übergriff kommt. Daheim geht der Missbrauch weiter. Wenn die Eltern jeweils am Mittwochabend in die Kirche gehen, holt der ältere Bruder den jüngeren in sein Zimmer.
Wenn er sicher ist, dass die Eltern nicht plötzlich nach Hause kommen, zieht er sich und seinen Bruder nackt aus. Laut Staatsanwaltschaft legte P. W. sich dann aufs Bett und der Kleine musste sich auf ihn legen. Mehrfach befriedigt der Angeklagte seinen Bruder auch oral – und umgekehrt. Erst nach seinem 16. Geburtstag bricht E. W. sein Schweigen.
14 Tage lang sass der ältere Bruder im November 2015 in Untersuchungshaft. Er ist geständig: «Ich habe einen Fehler gemacht. So etwas wird nicht mehr passieren.» Das glaubt auch der Gutachter. Die Rückfallgefahr schätzt er als gering ein, eine pädophile Störung könne er ausschliessen. Der Täter sei eigentlich an Frauen interessiert.
Unterdurchschnittlicher IQ von bloss 78
Es ging ihm offenbar auch nicht primär um Sex, sondern um Macht. P. W. hat laut Gutachter ein grosses Dominanzstreben. Durch die Handlungen habe er versucht, seine mangelnde Selbstsicherheit zu kompensieren.
Neben seinem Bedürfnis nach Macht wurde beim Angeklagten eine schwere Form der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) festgestellt. Und ein unterdurchschnittlicher IQ von bloss 78. Trotzdem ist er laut Gutachter voll schuldfähig. Denn er wusste, dass er etwas Unrechtes tat. «Er hat seinem Bruder gesagt, er soll niemandem etwas erzählen», sagt der Experte.
Zudem war es dem älteren der Brüder möglich, geplant zu handeln. Erst wenn die Eltern garantiert weg waren, verging er sich an seinem Opfer. Wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern forderte der Staatsanwalt vier Jahre Knast.
Zu hart, fand das Gericht und verurteilte P. W. zu 20 Monaten, die aufgeschoben werden. Statt ins Gefängnis muss er die nächsten zwei Jahre in einem betreuten Wohnsetting leben und eine ambulante Therapie machen.
* Namen von der Redaktion geändert