Danielle M. (57) aus Engelberg hat ihre Transsexualität jahrzehntelang versteckt
«Ich bin eine Frau und ich will, dass es alle wissen»

Danielle M. aus Engelberg OW kam als Mann zur Welt. Und versteckte das Frausein jahrzehntelang. Damit ist nun Schluss. Mit 57 Jahren traut sie sich endlich, allen zu sagen, was Sache ist.
Publiziert: 19.01.2022 um 00:09 Uhr
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Aktualisiert: 19.01.2022 um 09:00 Uhr
Danielle M. (57) lebt heute als Frau.
Foto: Thomas Meier
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Michael Sahli

Für Danielle M.* (57) ist das Versteckspiel nach Jahrzehnten endlich zu Ende. Danielle, damals noch Daniel, wusste nämlich schon als kleiner Bub, dass sie im falschen Körper geboren ist. Und sich eigentlich als Frau fühlte. Es folgte trotzdem mehr als ein halbes Leben als Mann. Mit einer Maurerlehre, Ehefrau und Stiefkindern. Aber ab heute mag sich Danielle nicht mehr verstecken: «Ich bin eine Frau. Und ich will, dass es alle wissen», sagt sie beim Treffen mit Blick.

An ihrem Wohnort in Engelberg OW ist sie wohl die einzige Transgender weit und breit. Danielle, die in Zürich aufwuchs und erst vor einigen Jahren wegen eines Jobs nach Engelberg zügelte, ist begeistert von der Toleranz der Bergbevölkerung: «Die Freundlichkeit der Leute hier kenne ich von Zürich gar nicht», sagt sie. Nur einen Mann gebe es, der sie immer anschaue, als wolle er sie «am liebsten mit der Mistgabel aufstechen».
Sie steht – meistens – drüber.

Im Kebab-House trat sie zum ersten Mal als Frau auf

Dabei ist es noch nicht lange her, da war Danielle noch Daniel. Und ganz unten. Letztes Jahr kam alles zusammen: Jobverlust, Depression, Lebenskrise. Und ein Suizidversuch. «Ich sah keinen Sinn mehr im Leben und dem Verstecken.» Der Versuch misslang glücklicherweise. Und brachte etwas an die Oberfläche, das sie all die Jahre vergraben hatte. «Am Tag meines Suizidversuchs wurde ich auch äusserlich zur Frau», sagt sie. «Ich war bereit zu sterben, hätte vielen Leuten damit sehr wehgetan. Ich hatte danach nichts mehr zu verlieren.»

Kurz darauf traut sie sich zum ersten Mal als Frau in die Öffentlichkeit.
Ins lokale Kebab House, das zu diesem Zeitpunkt ziemlich voll ist. Wirt Cajic Zeljko (45) hat einfach «Hallo Daniela» gesagt. Die schon angetrunkenen Gäste haben gefragt: «Dani, was trägst du drunter?»
Und sie antwortete mit breitem Grinsen: «Einen Tanga!» Danielle ist selbstbewusst genug, um über blöde Sprüche zu lachen. Oder sie einfach zu überhören. «Ich realisierte erst an diesem Abend, wie hoch der Preis war, den ich in den Jahrzehnten des Versteckspiels zahlte.»

Das Versteckspiel begann schon in den 70er-Jahren. «Ich nahm die Stöckelschuhe meiner Mutter, wenn es niemand bemerkte.» Bereits in jungen Jahren war instinktiv klar: Niemand darf von der weiblichen Seite erfahren. «Es wäre eine Welt zusammengebrochen.» Aus dem Zürcher Buben wurde ein grosser Fasnachts-Fan. Wo er natürlich jedes Jahr als Frau unterwegs war.

Die erste Freundin – Danielle fühlt sich übrigens auch heute als Frau noch zu Frauen hingezogen – war öfter auf Geschäftsreise. «Ich kaufte mir jedes Mal Frauenkleider. Und musste jedes Mal alles wieder entsorgen, bevor sie wieder nach Hause kam», erinnert sich Danielle. «Wie ein Krimineller» habe sie sich dabei gefühlt.

Der lange Weg zur Geschlechtsanpassungs-OP

Ein Coming-out sei auch damals nie ein Thema gewesen. «Ich wanderte aus, arbeitete lange selbständig an Bauprojekten in der Dominikanischen Republik.» Daniel fand dort eine Frau, wurde Stiefvater von zwei Söhnen. «Sie nennen mich heute noch Papa.» Die Ehefrau überschüttet er regelrecht mit schönen Kleidern. Es folgte die Trennung. Und 2001 die Rückkehr in die Schweiz.

Aber schon als Mann klappte der berufliche Wiedereinstieg in der Schweiz nirgends auf Dauer. Auch der Job in einem Sportgeschäft, für den Danielle extra von Zürich nach Engelberg zügelte, funktionierte nicht. «Meine Arbeitskollegen waren alle höchstens halb so alt wie ich, es passte einfach nicht.» Unzählige Bewerbungen habe sie seither schon verschickt. Ergeben hat sich nichts.

Trotzdem schaut Danielle hoffnungsvoll in die Zukunft. Sie will endlich auch ihren Körper dem anpassen, was sie fühlt. «Ich bin jetzt bei einer Psychologin in Abklärung», fasst Danielle die ersten Schritte auf dem Weg zur operativen Geschlechtsanpassung zusammen. Im Mai soll es losgehen mit den Hormonen, der ganze Weg bis zur Operation dauert sicher mehr als zwei Jahre, rechnet sie vor. Schon jetzt purzeln die Kilos. «Ich will eine schlanke Frau sein.» Die Operation bezahlt die Krankenkasse. «Das Problem sind die Zähne, die sehen schlimm aus. Und das muss ich selber bezahlen, kann es aber nicht», sagt sie.

Jetzt, nach all den Jahrzehnten, soll nämlich alles schnell gehen. Denn bald wird Danielle 58. «Ich habe jetzt noch ein paar Jahre, bevor ich dann eine alte Frau sein werde», meint sie lachend. «Und die will ich noch richtig geniessen!»

* Name der Redaktion bekannt

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