Autofahrer kennen das: Chronische Linksfahrer machen es sich auf der Überholspur gemütlich, bleiben unter dem Tempolimit, reagieren nicht auf Lichthupen. Was tun?
Erlaubt ist nur, hinter dem Langsamfahrer herzudümpeln. Doch viele wechseln auf die Normalspur zurück und überholen rechts – und begehen eine grobe Verkehrsregelverletzung. Obwohl eine Mehrheit der Kantone das Rechtsüberholen auf Autobahnen legalisieren will, riskiert man eine hohe Busse und einen Ausweisentzug.
Beides hätte der 50-jährige Oliver G.* akzeptiert. Was ihm aber passierte, grenzt an Willkür. 23 Monate lang musste der Aargauer auf seinen Fahrausweis verzichten. Der Grund: Wegen «charakterlicher Nichteignung» hatte ihm das Strassenverkehrsamt 14 Stunden Verkehrstherapie aufgebrummt, verteilt auf fast zwei Jahre.
Am Anfang stand die Anzeige eines Linksfahrers. Der warf Oliver G. vor, im Kanton Zürich nach dem Rechtsüberholen wieder auf die Überholspur gewechselt und ihn per Schikanestopp ausgebremst zu haben. Zudem habe er ihn durch das Zeigen des Mittelfingers in seiner Ehre verletzt.
14 Stunden Therapie wegen «verkehrsrelevanter Defizite»
Das Aargauer Strassenverkehrsamt entzog G. sofort und auf unbestimmte Zeit den Führerausweis, ein sogenannter Sicherungsentzug. Die Beurteilung durch die Staatsanwaltschaft wartete man nicht ab, und der Berater für Personaldiagnostik – er braucht sein Auto für Kundenbesuche – musste sich wegen Verdacht auf «verkehrsrelevante, charakterliche Defizite» abklären lassen.
Dabei wurde Oliver G. nicht nur mit dem aktuellen Überholmanöver konfrontiert, sondern auch mit einem Selbstunfall auf glatter Strasse vor sieben Jahren und einer Streifkollision nach Rechtsüberholen vor zwei Jahren. Dafür war ihm jeweils für einen Monat der Ausweis entzogen worden. «Ich bin kein Verkehrsrowdy. Ich war 22 Jahre völlig unauffällig unterwegs, obwohl ich jährlich rund 50'000 Kilometer fuhr. Das Rechtsüberholen und der Selbstunfall können vor diesem Hintergrund doch kein Hinweis für ein charakterliches Problem sein», ärgert sich Oliver G.
Die Verkehrspsychologin kam nach einem einstündigen Gespräch und einem standardisierten Bewertungsverfahren zu einem anderen Ergebnis: «keine charakterliche Fahreignung». Sie begründete das mit «unzureichendem Problem- und Gefahrenbewusstsein für das eigene Fahrverhalten» und «fehlender Grundlage für weiterführende Reflexions- und Änderungsprozesse». Damit er charakterlich wieder fahrtauglich werde, brummte ihm das Amt «mindestens 14 Stunden Verkehrs-/Psychotherapie» auf.
Eine Woche nach diesem Verdikt beurteilte auch die Zürcher Staatsanwaltschaft den Vorfall – und kam zu einem anderen Ergebnis. Lediglich für das verbotene Rechtsüberholen erhielt Oliver G. eine bedingte Geldstrafe über 7000 Franken und 1000 Franken Busse.
Die Vorwürfe Schikanestopp und Persönlichkeitsverletzung wurden fallen gelassen – gestützt auch auf eine Dashcam-Aufnahme aus dem Auto des Fahrers, der Anzeige erstattete. «Ich war richtig erleichtert», sagt Oliver G. dem Beobachter. «Ich habe niemanden absichtlich ausgebremst und in seiner Ehre verletzt.» Er und sein Anwalt waren zuversichtlich, dass der Ausweis bald zurückgegeben würde.
*Name der Redaktion bekannt
Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch
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