Barbara Keller und Denise Brechbühl im Studio
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1 Jahr Frauenstreik:Barbara Keller und Denise Brechbühl im Studio

Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga zum Jahrestag des Frauenstreiks
«Alle sagten: Das bringst du nie durch»

Der zweite Frauenstreik habe viel bewegt, sagt SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Wichtige politische Geschäfte wären sonst gescheitert.
Publiziert: 14.06.2020 um 10:56 Uhr
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Aktualisiert: 15.06.2020 um 17:20 Uhr
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Heute vor einem Jahr fand der Frauenstreik statt, der Hunderttausende auf die Strasse zog.
Foto: Copyright CAROLINE MINJOLLE/Frauenstreikfotografinnen
Interview: Camilla Alabor

Vor genau einem Jahr zogen Hunderttausende Frauen mit Plakaten, violetten T-Shirts und viel guter Laune durch die Strassen, um für gleiche Löhne, mehr Respekt oder die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu demonstrieren. Was hat sich seither getan? Eine ganze Menge, meint SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga im Interview.

Frau Bundespräsidentin, vor einem Jahr fand der Frauenstreik statt. Wenn Sie zurückschauen: Wie hat dieser Tag die Schweizer Politik verändert?

Simonetta Sommaruga: Einer der grössten Erfolge des Frauenstreiks ist sicherlich die Tatsache, dass der Frauenanteil im Parlament nach den Wahlen 2019 so hoch ist wie nie zuvor. Zudem hat der Streik wichtigen politischen Geschäften zum Durchbruch verholfen.

Ein Beispiel, bitteschön.

Grosse Unternehmen müssen ab dem 1. Juli dafür sorgen, dass Frauen nicht weniger verdienen, nur weil sie Frauen sind. Als ehemalige Justizministerin freut mich das besonders: Ich hatte die Vorlage gegen viel Widerstand in den Bundesrat und ins Parlament gebracht. Zudem hat das Parlament diese Woche Frauenquoten zugestimmt für den Verwaltungsrat und das Management von grossen, börsenkotierten Firmen.

Auch diese Vorlage hatten Sie als Justizministerin initiiert.

Als ich vor Jahren mit diesem Vorschlag kam, sagten mir alle: Vergiss es, das bringst du nie durch. Und am Freitag kam es durch. Ohne Frauenstreik wäre das nicht möglich gewesen. Der Streik hat dem Parlament jenen letzten Schub gegeben, den es noch brauchte.

Nicht überall geht es vorwärts mit der Gleichberechtigung. Was sagen Sie zu reinen Männerregierungen wie in den Kantonen Aargau oder Luzern?

Hier stehen die Parteien in der Verantwortung. Und zwar alle Parteien. Es ist an ihnen, Kandidatinnen und Kandidaten aufzustellen, damit die Bevölkerung die Möglichkeit hat, gemischte Teams zu wählen. Solche arbeiten erfahrungsgemäss oft besser.

Wie hat sich denn im Bundesrat die Stimmung verändert, seit drei Frauen in der Regierung sitzen?

Seit wir drei Frauen sind, ist das Geschlecht gar kein Thema mehr. Denn auch Frauen haben zu unterschiedlichen Themen unterschiedliche Meinungen, das zeigt sich im Bundesrat sehr gut. Wenn wir drei Frauen im Bundesrat aber dieselbe Meinung vertreten, ist die Chance auf eine Mehrheit gross. Uns fehlt dann ja nur noch eine Männerstimme!

Sie sagen, die Gleichstellung im Bundesrat ist erreicht?

Innerhalb des Gremiums haben wir dieselben Chancen und Möglichkeiten, ja. Während der Coronakrise gab es manchmal Diskussionen darüber, wer letztlich die Entscheide öffentlich darlegt. Und auch angesichts der Vertretung in den Krisenstäben gab es Rückmeldungen, im Sinne von: Wird die Coronakrise von Männern geleitet? Natürlich nicht.

Dennoch waren die beiden Bundesräte Berset und Parmelin vor den Medien sehr präsent.

Dass der Gesundheits- und der Wirtschaftsminister in dieser Krise wichtige Rollen haben, liegt in der Natur der Sache und ist keine Gender-Frage. Der Einsatz der Frauen war aber ebenfalls enorm: meine beiden Kolleginnen mit der Armee und mit Grenzfragen und ich mit der Führung des Gremiums. Als Bundespräsidentin habe ich zudem immer dann direkt eingegriffen, wenn es geharzt hat, wie bei der Blockade von Schutzmaterial. Später habe ich Krisengipfel mit den Sozialpartnern und der Tourismusbranche durchgeführt. Als Bundespräsidentin ist es auch meine Rolle, dafür zu sorgen, dass niemand abgehängt wird.

Dennoch: Sie traten zwar in kritischen Momenten vor die Bevölkerung - wie etwa bei der Verkündigung des Lockdowns - , nahmen sich sonst aber weitgehend zurück. Ist das nicht typisch Frau?

Ich kümmerte mich intensiv um die Krisen-Bewältigung, auch mit Besuchen vor Ort, etwa bei Pflegenden. Wenn man alle mitnehmen will, muss man viel tun, um im Bundesrat Lösungen zu finden, hinter denen alle stehen können. Die Meinungen gingen ja weit auseinander. Vielleicht ist das tatsächlich eine Überlegung, die sich eine Frau macht: Ziel ist, den Zusammenhalt zu stärken. Und das Resultat stimmt – der Bundesrat wird als starkes Team wahrgenommen.

Nun haben wir viel über die Benachteiligung der Frauen gesprochen. Wo erfahren die Männer Nachteile?

Die Männer sind benachteiligt, weil sie sich oft weniger um ihre Kinder kümmern können. Deshalb ist es wichtig, dass jetzt der Vaterschaftsurlaub kommt, über den wir im September abstimmen. Wichtig ist aber auch, dass Männer ihr Pensum reduzieren können - und dass sie dafür kämpfen. Heute werden Männer oft bestraft, wenn sie Teilzeit arbeiten wollen. Dann heisst es: Das darfst du gerne machen, aber deine Karriere kannst du vergessen. Das passiert ja auch den Frauen häufig. Hier braucht es Chefinnen und Chefs, die sich aktiv dafür engagieren, dass Väter - und Mütter - dank Teilzeit sowohl beruflich wie auch in der Familie ein erfülltes Leben führen können.

Zum Schluss: Wie begehen Sie den heutigen Jahrestag des Frauenstreiks?

Ich gehe an eine Vernissage von Fotografinnen, die den Frauenstreik vom letzten Jahr fotografisch festgehalten haben. Zusammen mit Frauen, die am Streik teilgenommen haben, lassen wir diese Energie und Freude aufleben, die uns bis heute begleitet.

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