Bündnerin Flavia B. (36) hat Todesangst vor jedem Husten
So leidet eine Hypochonderin in der Corona-Krise

Wer dachte nicht schon daran, das Coronavirus erwischt zu haben? Viele! Die Hypochonderin Flavia B.* (36) aber befürchtet beim kleinsten Husten, bald am Virus zu sterben. Die Pandemie hat ihre psychische Krankheit verstärkt.
Publiziert: 26.08.2020 um 07:55 Uhr
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Flavia B.* (36) sitzt auf dem Friedhof auf einer Bank. Sie hat schon oft über den Tod nachgedacht.
Foto: Siggi Bucher
Rachel Hämmerli

Corona fühle sich wie Ertrinken an, hat Flavia B.* (36) mal irgendwo gelesen. Seit im heimischen Tal die erste Person am Virus erkrankte, fürchtet die Bündnerin bei jedem Husten unterzugehen. Sie steht Todesängste aus. Die 36-Jährige leidet unter Hypochondrie. Eine übertriebene Angst um die eigene Gesundheit. Die Corona-Krise, ein Horror-Szenario für die Reinigungskraft.

«Seit Corona hat die Angst extrem zugenommen», sagt Flavia B. zu BLICK. Zu Beginn der Pandemie fällt die Bündnerin in ein Tief. Sie bleibt nur noch zu Hause, meist im Bett. Halbstündlich greift sie zum Fiebermesser. 37 Grad. Alles gut. Trotzdem greift sie eine halbe Stunde später wieder zum Fiebermesser. Sicher ist sicher. Ein Kratzen im Hals – Panik!

«Das könnte ein Geschwür sein!»

So ist das immer bei ihr. Wenns im Körper zwickt, denkt sie meist an tödliche Krankheiten. Verhärtete Schultern – «Das könnte ein Geschwür sein!» Schmerzende Rippen – «Sicher Knochenkrebs!»

Mit ihrer Psychiaterin entwickelt sie Strategien, die durch die Coronakrise helfen. Schon eine heisse Dusche nützt. Flavia B. sagt zu BLICK: «Ich konzentriere mich dann auf den Strahl auf der Haut.» Ablenkung sei das beste Mittel gegen die Angst, neben Medikamenten.

Flavia B. erlitt einen Nervenzusammebruch

Seit sie denken kann, leidet Flavia B. an Hypochondrie. Der Grund: Der plötzliche Kindstod ihrer Schwester. Da war die Bündnerin zwei Jahre alt. Und plötzlich begann sich Flavia B. übertrieben Sorgen um ihre eigene Gesundheit zu machen. Dass das eine Krankheit ist, wusste sie aber nicht. Als sie Mutter wird, steigert sich die Angst.

Sie fürchtet sich, wenn ihre zwei Kinder (8, 10) zu hoch schaukeln oder auf Mauern klettern. Ihr Mann muss sich gleich melden, wenn es auf der Arbeit später wird. «Sonst dachte ich gleich an einen Unfall.» B. steht unter Dauerstress. Vor vier Jahren kam dann noch eine hartnäckige Angina dazu. Alles wird ihr zu viel. Nervenzusammenbruch!

Mehr Hypochonder wegen Corona

Im Gespräch mit einer Psychiaterin erfährt sie zum ersten Mal, dass sie krank ist. B. leidet unter Hypochondrie. Die Diagnose ist eine Erleichterung gewesen.

Wie viele Schweizer unter Hypochondrie leiden, ist schwer zu sagen. Exakte Zahlen gibt es nicht. Flavia B. ist aber nicht allein damit, schon gar nicht in der Corona-Krise. Hypochondrisches Verhalten habe seit dem Ausbruch der Pandemie zugenommen, erklärt Erich Seifritz, Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Besonders bei jenen, die bereits an einer psychischen Krankheiten leiden.

«Pessimistische Menschen neigen eher zu Ängstlichkeit»

Der plötzliche Tod einer nahe stehenden Person, Überforderung am Arbeitsplatz oder eben das Coronavirus können eine Krankheitsangst auslösen, so Erich Seifritz. «Anfällig darauf sind meist Menschen, die auf stressige Situationen ängstlich reagieren», sagt der Psychiater.

Wie ein Mensch mit Stress umgeht, habe laut Seifritz viel mit der persönlichen Einstellung zu tun. «Pessimistische Menschen neigen eher zu Ängstlichkeit». Oft würden Betroffene noch unter anderen psychischen Krankheiten leiden «wie etwa Depressionen oder Panikattacken», so der Experte.

Die Betroffenen könnten mit einer Kombination aus Therapie, Medikamenten und sozialer Unterstützung aber erfolgreich genesen. So wie die Bündnerin. Sie trotzt ihrer Angst – mit Erfolg. Heute geht sie wieder einkaufen. Ein grosser Schritt. Auch wenn sie zuerst das Wägeli desinfizieren muss.

* Name geändert


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