Mindestens 15 Personen sind in der Schweiz bereits positiv auf das Coronavirus getestet worden. Die Angst in der Bevölkerung steigt. Wer kürzlich in Italien war, ist besonders verunsichert. So auch Samuel R.* (27). BLICK erzählt er, was er in den letzten Tagen erleben musste.
- 16. Februar: Samuel R.* (27) aus dem Kanton Zürich reist mit seinen Eltern nach Mailand. Ein gewöhnlicher Tagesausflug. Den Dom anschauen, in der Stadt schlendern und eine Pizza essen.
- 22. Februar: Eine Hiobsbotschaft aus Norditalien dringt an die Öffentlichkeit. Zwei Personen sind infolge einer Infektion mit dem Coronavirus verstorben.
- 23. Februar: Die italienische Regierung riegelt mehrere Städte in der Nähe von Mailand ab.
- 24. Februar: Samuel R. kriegt ein leicht mulmiges Gefühl. Doch weil er sich trotz einer anhaltenden Erkältung relativ gut fühlt, geht er wie gewohnt weiter zur Arbeit.
- 25. Februar: Das Coronavirus erreicht die Schweiz. Mehrere Firmen treffen drastische Massnahmen und schicken Mitarbeiter in Quarantäne, wenn sie sich in einem betroffenen Land aufgehalten haben. Die Bevölkerung macht währenddessen Hamsterkäufe.
- 26. Februar: Die Zahl der Infizierten steigt mit jeder Stunde an. Der Zürcher ist verunsichert. Er erinnert sich an das Jahr 2009. Damals hatte er sich mit der Schweinegrippe angesteckt. «Ich hatte absolut keine Symptome, es kam per Zufall raus und ich musste dann einen Monat zu Hause verbringen.»
Am Abend fühlt er sich schwindelig und hat Herzrasen. Darum entscheidet er sich, freiwillig, einen Test zu machen, um eine Ansteckung auszuschliessen oder im schlimmsten Fall rechtzeitig zu handeln. «Ich will nicht, dass meine Familie und meine Freunde dann plötzlich in Gefahr geraten.» Da weiss der junge Mann allerdings noch nicht, dass ein simpler Test zu einer regelrechten Odyssee wird. - 27. Februar, 9 Uhr: Der 27-Jährige ruft seinen Hausarzt an. Am Telefon heisst es aber: «Kommen Sie nicht in die Praxis!» Wenn R. tatsächlich das Virus hätte, würde der Arzt die Praxis schliessen müssen. Der Mann ist ob der Reaktion überrascht, doch der Hausarzt verspricht, abzuklären, an wen sich der junge Mann wenden kann.
10 Uhr: Das Telefon klingelt. Das Spital Uster ist am Apparat und will wissen, über welche Beschwerden R. klage. «Ich erklärte, dass ich kein Fieber und Atemprobleme habe. Weil ich aber huste und vor Kurzem in Italien war, möchte ich sicher gehen.» Das Spital aber will Samuel R. zunächst vom Test abraten. «Sie sagten, der Test sei sehr teuer, und weil ich keine Symptome habe, sei das nicht nötig.» Der 27-Jährige ist schockiert. «Ich dachte, ich höre nicht richtig. Es kann doch nicht sein, dass hier von Geld geredet wird, wenn es um die Gesundheit geht. Ich will doch niemanden anstecken.» Nach einem Gespräch empfiehlt das Spital Uster aber, dass sich R. in der Notfallaufnahme im Spital Limmattal untersuchen lässt.
10.15 Uhr: Samuel R. zieht sich Trainerhosen und Turnschuhe an und fährt ins Krankenhaus. Bei der Notfallaufnahme angekommen, stösst er auf einen Zettel an der Tür. «Aufgrund des zurzeit auftretenden Coronavirus treffen wir entsprechende Vorsichtsmassnahmen. Bitte befolgen Sie die unten stehende Anleitung», steht drauf. Dazu die Telefonnummer der Schichtleitung und die Aufforderung, draussen zu warten. R. wählt die angegebene Nummer.
10.20 Uhr: Eine Krankenschwester kommt raus. «Sie hat mir aus gefühlt fünf Metern Entfernung eine gelbe Hygienemaske aus Stoff hingeworfen und mir draussen vor dem Gebäude das Fieber gemessen», erzählt der Zürcher. «Das fand ich äusserst übertrieben, zumal es mir ja relativ gut ging.»
10.27 Uhr: Die Krankenschwester läuft wieder zurück ins Spital und bittet Samuel R., draussen zu warten.
10.45 Uhr: Der junge Mann wartet immer noch.
11.15 Uhr: Der Schnee fängt an zu rieseln. Von der Krankenschwester immer noch keine Spur.
11.30 Uhr: Samuel R. wird ungeduldig und bekommt wortwörtlich kalte Füsse. Seine Turnschuhe sind nicht für lange Aufenthalte draussen vor der Tür konzipiert.
11.45 Uhr: Der 27-Jährige ruft nochmal an und sagt, dass er friert. Er müsse bitte noch etwas warten, heisst es. «Ich dachte, jetzt werde ich erst richtig krank, wenn man mich so lange draussen in der Kälte stehen lässt», schimpft er.
12.25 Uhr: Die Tür der Notfallaufnahme öffnet sich. Eine Krankenschwester bringt ihm eine weisse «Schnabelmaske» raus. Ein Arzt meldet sich am Telefon und sagt R., er solle um 15.30 Uhr erneut kommen. Dann würde noch ein richtiger Test durchgeführt werden.
12.30 Uhr: Samuel R. fährt verdutzt heim. Warum der Test nicht bereits bei seinem ersten Besuch hätte gemacht werden können, kann ihm keiner beantworten.
13 Uhr: Der Schock sitzt immer noch tief. «Das Spital ist heillos überfordert», sagt er genervt. «Das BAG sagt uns, dass die Lage unter Kontrolle und alle Einrichtungen vorbereitet seien. Das stimmt einfach nicht. Das habe ich selber am eigenen Leib erfahren. Ich habe null Infos vom Personal bekommen.»
15.30 Uhr: Wieder beim Spital Limmattal angekommen, wählt der Zürcher erneut die angegebene Nummer. Wieder heisst es, es komme gleich jemand raus, um ihn abzuholen.
16 Uhr: Wie befürchtet, wiederholt sich der Ablauf. Samuel R. wartet immer noch. «Das ist doch nicht normal», denkt er sich.
16.10 Uhr: Dieses Mal geht es etwas schneller als am Vormittag. Eine Krankenschwester kommt zu Samuel R. und bringt ihn durch die Einfahrt für Ambulanzautos in einen Untersuchungsraum. Alle Geräte sind mit einer Plastikfolie abgedeckt. Auch die Krankenschwester ist von Kopf bis Fuss in Schutzkleidung verpackt. «Sie hatte einen gelben Überzug, Maske und Handschuhe an – das volle Programm. Ich fand das ziemlich filmreif. Irgendwie auch voll übertrieben. Gleichzeitig war mir klar, dass das notwendige Schritte sein müssen.»
16.30 Uhr: Dem jungen Mann wird Blut abgenommen. Während die Krankenschwester die Flüssigkeit abzapft, macht R. seinem Ärger Luft. «Ich sagte, dass der Ablauf am Morgen eine Katastrophe war und die Organisation zu wünschen übrig lässt.» Die Krankenschwester entschuldigt sich und erklärt, wie es zu den zwei Stunden Wartezeit kam. «Sie sagte, dass sie mit dem BAG per Telefon Rücksprache halten und die einzelnen weiteren Schritte besprechen mussten. Wegen des Virus' würde momentan alles drunter und drüber gehen. Es sei ein riesiger organisatorischer Aufwand und die Abläufe noch nicht ausgefeilt.»
16.45 Uhr: Samuel R. wird für 45 Minuten sich selbst überlassen. Immerhin darf er dieses Mal in der Wärme warten.
17.30 Uhr: Es folgt der zweite Test. Jetzt werden dem 27-Jährigen zwei Abstriche in beiden Nasenlöchern sowie einer im Rachen gemacht. «Der Arzt sagte, die Tests würden am Freitag ins Labor geschickt werden. Nach drei bis vier Stunden würden sie die Resultate erhalten und mich dann telefonisch informieren.»
18 Uhr: Der Patient erhält eine neue «Schnabelmaske» und wird nach Hause entlassen. Er soll sich aber bitte nicht unter Leute begeben, sondern den Abend ruhig verbringen, heisst es zum Abschied.
19 Uhr: Samuel L. resümiert: «Ich bin so froh, dass der Tag vorbei ist. Ich hätte nie erwartet, dass er so stressig und mühsam wird. Am meisten hat mich genervt, dass ich ohne jegliche Informationen so lange in der Kälte gelassen wurde. Das war für meinen Gesundheitszustand nur kontraproduktiv. Aber das Personal tut mir auch etwas leid. Die Behörden haben sie überhaupt nicht instruiert, wie sie vorzugehen haben. Trotzdem waren der Arzt und die Krankenschwester am Nachmittag sehr freundlich zu mir und haben sich sehr bemüht. Jetzt bleibt mir nur noch zu hoffen, dass der Anruf morgen gute Nachrichten mit sich bringt.»
- 28. Februar: Das Spital Limmattal gibt Entwarnung: Der Test ist negativ ausgefallen.
* Name geändert
«Das Vorgehen in Verdachtsfällen ist vom BAG und der Gesundheitsdirektion Zürich vorgegeben und benötigt entsprechend Zeit. Das Vorgehen folgt klaren Dringlichkeitsstufen, was bei Patienten mit geringem Risiko zu gewissen Wartezeiten führen kann», sagt Sprecher Stefan Strusinski zu BLICK. «Im Vorfeld eines Tests müssen Spitalärzte den Kantonsarzt kontaktieren und abklären, ob der Test notwendig ist oder nicht. Diese Evaluation nimmt ebenfalls Zeit in Anspruch. Je nach Erreichbarkeit des Kantonsarztes kann dies zu weiteren Verzögerungen führen.»
Ausserdem würden die Patienten, die sich gesund fühlen und zu Hause auf die Resultate warten können, darauf hingewiesen, mit dem Auto und nicht mit dem ÖV heim zu fahren.
«Das Vorgehen in Verdachtsfällen ist vom BAG und der Gesundheitsdirektion Zürich vorgegeben und benötigt entsprechend Zeit. Das Vorgehen folgt klaren Dringlichkeitsstufen, was bei Patienten mit geringem Risiko zu gewissen Wartezeiten führen kann», sagt Sprecher Stefan Strusinski zu BLICK. «Im Vorfeld eines Tests müssen Spitalärzte den Kantonsarzt kontaktieren und abklären, ob der Test notwendig ist oder nicht. Diese Evaluation nimmt ebenfalls Zeit in Anspruch. Je nach Erreichbarkeit des Kantonsarztes kann dies zu weiteren Verzögerungen führen.»
Ausserdem würden die Patienten, die sich gesund fühlen und zu Hause auf die Resultate warten können, darauf hingewiesen, mit dem Auto und nicht mit dem ÖV heim zu fahren.
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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