Betroffene berichtet von Alzheimer-Schicksal
«Er wird immer mein Mann bleiben – nur mein Partner ist er nicht mehr»

Iris Bürki und ihr Mann hatten alles. Eine glückliche Ehe, zwei Söhne, ein Haus, Freunde, ein erfülltes Leben. Dann kam Alzheimer.
Publiziert: vor 59 Minuten
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Aktualisiert: vor 39 Minuten
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Mit der Alzheimer-Diagnose ändert sich nicht nur das Leben von Bürkis Ehemann, sondern auch ihr eigenes.
Foto: Anne Gabriel-Jürgens

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Katharina Siegrist
Beobachter

Als ihr Mann 58 Jahre alt ist, entdeckt Iris Bürki die ersten Veränderungen. Da ist zum Beispiel der gesellige Abend mit Freunden, als er ihr plötzlich eine Eifersuchtsszene macht. Manchmal tobt er wie ein kleines Kind, stampft mit den Füssen auf den Boden, schlägt mit seinen Fäusten auf den Tisch. Etwas schrullig sei er geworden, sagen die Freunde. Das Alter halt. Das will Iris Bürki auch glauben. Es wird ihr mit der Zeit immer seltener gelingen. Der Vorfall liegt über zehn Jahre zurück. Iris Bürki heisst tatsächlich anders. Sie selbst hätte keine Bedenken, mit richtigem Namen hinzustehen. Sie habe nichts zu verstecken. Es sind ihre Söhne, die um Anonymität gebeten haben.

Er vergisst, die E-Mails abzuschicken

Während der Pandemie ist ihr Mann, der im Finanzbereich arbeitet, mehrheitlich im Homeoffice. Er sei manchmal aus dem Büro gekommen und habe gesagt, dass sein Computer verstellt worden sei, erinnert sich Bürki. Er finde sich nicht mehr zurecht. Und: «Er hat E-Mails geschrieben, aber dann vergessen, sie abzuschicken.»

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Mit dem Auto baut er mehrere kleine Unfälle. Eine Beule hier, eine Beule da. Er vergisst einzelne Wörter: «Kannst du mir das da geben?» Oder: «Gestern habe ich denjenigen gesehen – du weisst schon, wen.» Die Lücken werden immer mehr. Als er keinen einzigen Satz mehr zu Ende bringt, beharrt Iris Bürki darauf, dass sie zum Hausarzt gehen. Das ist Ende 2020. 

Diagnose Alzheimer – ein Schock

Der Arzt überweist ihren Mann in eine Memoryklinik. Einen Ort also, wo mögliche Demenzerkrankungen abgeklärt werden. Als die Ärztin dort einen Verdacht hat, fragt sie beim Ehepaar nach, ob man alles geregelt habe. Das haben die zwei. Schon einige Jahre zuvor hatten die Bürkis einen Ehe- und Erbvertrag geschlossen, einen Vorsorgeauftrag und eine Patientenverfügung erstellt. 

Die Diagnose Alzheimer macht Iris Bürki (Name geändert) einsam. Ein Teil der Familie bricht mit ihr. Ihr soziales Umfeld ändert sich.
Foto: Anne Gabriel-Jürgens

2021 steht die Diagnose: Alzheimer. Ein Schock für Iris Bürki, auch wenn sie es vermutet hatte: «Jetzt ist es wirklich diese blöde Krankheit», sagt sie. Und ihr Mann sagt: «Ich habe Alzheimer, aber es ist meine Frau, die spinnt.» Denn das, was sie sagt und tut, wird ihm immer mehr zum Rätsel.

Zwei Wochen später informiert Iris Bürki den Freundeskreis. Sie will offen mit der Krankheit umgehen, falls sie einmal Unterstützung braucht. Und vorsorgen: Ihr Mann hat einen enormen Bewegungsdrang entwickelt. Er geht mindestens 20’000 Schritte pro Tag. Bürki befürchtet, dass er mit fortschreitender Krankheit die Orientierung verliert. «Sollte ihn jemand herumirren sehen, wollte ich, dass man ihn nach Hause bringt oder mich anruft.»

Eine Diagnose, viele Ausprägungen

Iris Bürkis Mann kann sich bis heute gut orientieren. «Die Symptome und Ausprägungen von Alzheimer sind sehr individuell», sagt die Psychologin Regula Bockstaller. Sie berät Demenzbetroffene und deren Angehörige. Auch Iris Bürki, die sich ziemlich schnell Hilfe bei ihr geholt hat. 

Denn wenn ihr Mann die Kaffeemaschine nicht bedienen kann oder nicht mehr weiss, wie er den Fernseher einschalten muss, verzweifelt er. Die Verzweiflung schlägt dann schnell in Wut um. Mehrmals schliesst sich Iris Bürki in ihrem Zimmer ein, weil sie Angst hat, dass ihr Mann ihr etwas antut. Zweimal wird er tatsächlich handgreiflich, und einer der erwachsenen Söhne muss dazwischengehen. «Ich weiss nicht, was sonst passiert wäre.»

Der Mann bleibt, doch der Partner ist nicht mehr

Über 30 Jahre waren die Bürkis ein Paar. Tauchten zusammen, fuhren Töff, reisten, gingen an Hockeymatches der Rapperswil-Jona Lakers. Sagten sich alles. «Doch nun war er nicht mehr mein Mandli», sagt Iris Bürki.

Angehörige befänden sich in einem permanenten Verlust- und Trauerprozess, sagt Regula Bockstaller. «Man verliert den Partner oder die Partnerin auf Augenhöhe.» Diese Einsamkeit in der Zweisamkeit sei sehr belastend.

So ist es auch bei Iris Bürki. Sie fühlt sich oft einsam. Auch das soziale Umfeld ändert sich. Ein Teil der Familie bricht mit ihr. Neue Freundinnen kommen dazu, andere gehen. Ihr hilft der Austausch in einer Angehörigengruppe, wo man lachen und weinen kann. Entlastend ist auch ein Betreuungsangebot, das Regula Bockstaller in ihrer Praxis anbietet. Ab 2023 verbringt Iris Bürkis Mann fünf Stunden pro Woche mit anderen Demenzkranken. 

Wieder etwas schaffen, Erfolg haben

Beim ersten Mal, kurz vor Ostern, soll die Gruppe Ostereier ausmalen. «Mein Mann war nie ein Bastler oder Zeichner. Ich dachte, er werde sofort davonrennen.» Doch er bleibt und malt. Und es gefällt ihm. 

Gemeinsame Reisen war eine Leidenschaft der Bürkis. So etwa eine Töffreise im Jahr 2011.
Foto: Anne Gabriel-Jürgens

Für Bockstaller ist wichtig: «Es geht nicht darum, dass wir die Betroffenen mit Malen oder Basteln ruhigstellen. Es geht darum, dass sie wieder erfahren, wie sie teilhaben und einen Erfolg haben können.» Bürkis Mann konnte sich schon damals kaum mehr mit Worten ausdrücken, mit Pinsel und Farbe schien es ihm hingegen wieder zu gelingen. 

Das schlechte Gewissen ist immer da

2023 kommt bei Iris Bürki der Gedanke auf, einen Heimplatz zu suchen. Doch aktiv wird sie nicht. Noch nicht. Zu sehr plagt sie das schlechte Gewissen. Anfang 2024 setzt sie ihren Mann auf die Warteliste eines Heims, das ihm und ihr gefällt. Nicht weit vom Wohnort entfernt. Wenn ein Platz frei würde, könne sie ja immer noch absagen, denkt sie.

Im Winter und im Frühling verbringt ihr Mann jeweils eine Woche zur Probe dort. Immer wenn er zurückkommt, sagt er, er habe gerade die schönsten Ferien verbracht. Im September 2024 zieht er definitiv ein. Da ist er 68 Jahre alt, Iris Bürki 59.

Das schlechte Gewissen sei immer da, erzählt Bürki. «Heute vielleicht nicht mehr zuvorderst.» Sie besucht ihren Mann jeden Nachmittag für eine Stunde. Dann spazieren sie zusammen, gehen einen Kaffee trinken. Reden geht nicht mehr. «Seine Gesichtszüge sagen mir, dass er mich noch erkennt.» Bis vor kurzem hat sie ihn auch noch an die Heimspiele der Lakers mitgenommen. Mittlerweile erträgt er den Lärm nicht mehr. «Er wird immer mein Mann bleiben. Er ist nur nicht mehr mein Partner.»

Leben zurückgewonnen

Für das Heim zahlt Bürki 9000 Franken pro Monat aus dem eigenen Sack. Weitere rund 5000 Franken teilen sich Gemeinde und Krankenkasse. Womöglich wird Bürki schon bald das gemeinsame Haus verkaufen müssen. Sie hadert nicht. «Mein Mann hat sein ganzes Leben lang hart gearbeitet. Nun soll er auch das bekommen, was am besten ist.»

Dank dem Heim hat Iris Bürki ihr Leben zurück. Sie hat ihr Pensum als Nachhilfelehrerin wieder aufgestockt, liest viel, geniesst das Daheim, Zeit für sich zu haben. «Das Heim war für mich eine Art Rettung», sagt sie. Bald fliegt sie mit einer Freundin für drei Wochen nach Vietnam. Es sind ihre ersten längeren Ferien nach der Diagnose.

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