Sie heisst Alice McMahon, ist heute 76 Jahre alt und lebt in Florida. Sie hat nie geheiratet, bekam nie Kinder. Ein Drama als Kind hat ihr Leben geprägt: Als 11-Jährige war sie an Bord einer amerikanischen Dakota C-53, die über dem Gauligletscher abstürzte. Ein mit grossem Aufwand von der Zürcher Produktionsfirma C-Films gedrehtes Dokudrama (eine halbe Million Franken Kosten) schildert heute (SF 1, 20.05 Uhr) die höllischen Ereignisse von damals. «Es ist ein Wunder, dass wir das alles damals überlebt haben», sagt Alice McMahon 66 Jahre später immer noch aufgewühlt zu BLICK. Sie ist die letzte noch lebende Passagierin des Absturz-Fliegers.
Es ist der 19. November 1946 – kurz nach Kriegsende. Das Verhältnis zwischen der USA und der Schweiz ist angespannt. Die Supermacht stellt die Neutralität der Schweiz während des Kriegs in Frage. Um 13.05 Uhr startet US-Pilot Ralph Tate eine Dakota C-53 in München bei schlechtem Wetter. Zielort ist Pisa. An Bord sind ranghohe amerikanische Generäle, darunter Colonel William C. McMahon mit seiner Frau und der 11-jährigen Tochter Alice. «Es war mein erster Flug. Ich war sehr aufgeregt», erzählt Alice McMahon BLICK.
«Nach einer halben Stunde setzten plötzlich Turbulenzen ein.» Über den Alpen verliert der Pilot die Orientierung, kracht um 14.25 Uhr auf 3350 Metern mit 280 Kilometern pro Stunde auf den Gauligletscher. «Es gab einen lauten Knall. Alles in der Kabine flog durcheinander. Dann stürzte der Pilot blutend aus der Kabine. Ich habe lange nicht realisiert, was passiert war», so die Zeitzeugin. Bald war klar: Es gab Verletzte. Ein Passagier lag schreiend mit einer gebrochenen Kniescheibe im Gang.
Um 15.30 Uhr setzte das Flugzeug den ersten Notruf ab, welcher von den Flugplätzen Paris-Orly und Marseille-Istres empfangen wurde: «Mayday, Mayday, US Z68846 crashed!» Doch es sollte Tage dauern, bis das Flugzeug geortet wurde.
Unterdessen frieren die Passagiere auf dem Gletscher jämmerlich. «Wir hüllten uns nachts in Fallschirme», so McMahon. Der verletzte Passagier habe nachts gestöhnt – «vor allem als das Morphium ausging».
Unterdessen startet die US-Army eine gigantische Rettungsaktion. 150 US-Journalisten verfolgen das Geschehen von Meiringen BE aus. 80 amerikanische Bomber kreisen ab diesem Zeitpunkt über dem Gauligletscher. Schliesslich gelingt es dem Schweizer Flugpionier Victor Hug († 2001) mit einem kleinen, wendigen Flugzeug namens Fieseler Storch die Passagiere mit Hilfspaketen aus der Luft zu versorgen. «Ich erinnere mich noch an die Dosen mit Pfirsichen – sie schmeckten so süss», weiss McMahon zu berichten. «Auch der Speck, den wir auf in Motorenöl getränkten Morgenröcken brateten, mundete herrlich!»
In Italien setzen die Amerikaner inzwischen ein Sonderzug mit 150 Gebirgsjägern, Panzern und Jeeps in Bewegung. Ihr Ziel: Mit Raupenfahrzeugen wollen sie auf den Gletscher fahren! Als der Zug in Brig VS einen Zwischenhalt macht, sichern US-Soldaten den Zug mit Maschinenpistolen. Der geschockte Bahnhofvorstand informiert die Schweizer Armee. Es kommt zu Spannungen.
In Meiringen stellt sich dann heraus, dass keiner der Infanteristen über Gletschererfahrung verfügt. Am dritten Tag nach dem Absturz wird die Situation für die Passagiere langsam prekär. Zwei von ihnen wollen Hilfe suchen, kehren aber völlig entkräftet zum Flugzeug zurück. Wie durch ein Wunder sind sie nicht in eine Gletscherspalte gefallen.
Jetzt nehmen das Schweizer Militär und die Einheimischen das Zepter selber in die Hand: Am 23. November um vier Uhr morgens ziehen 68 Männer los. Nach 12 Stunden Gewaltmarsch durch den Neuschnee sichten die ersten Retter das Flugzeug. «Wir fielen uns weinend in die Arme und segneten uns», sagt die Amerikanerin McMahon mit zittriger Stimme. Die Helfer merken aber schnell: Die Passagiere sind zu schwach für einen Abstieg ins Tal.
Schliesslich wird ein Berner Oberländer Pilot zum Held des Dramas: Victor Hug hatte im Zweiten Weltkrieg mit Landungen von Fieseler Störchen auf Kufen experimentiert. Dann wagt er zusammen mit Major Pista Hitz (†1948) eine riskante Landung auf dem Gletscher. Zusammen fliegen sie alle Passagiere mit zwei Maschinen zurück ins Tal. «Meine Eltern hatten grosse Angst, hielten mich ganz fest», erinnert sich Alice McMahon. In Meiringen wartete bereits ein Spitalzug auf sie, der sie mit den Verletzten nach Wien brachte. «An den Geleisen applaudierten unzählige Schweizer. Ich war so unglaublich glücklich. Eurem Land und all den Helfern verdanke ich, dass ich noch ein so langes Leben führen durfte.»