Trotz neuem Drama beim River-Rafting: Gewinn geht vor Sicherheit
Wie viele Tote braucht es noch?

Wieder verlor ein Tourist in der Lütschine sein Leben. Der verantwortliche Adventure-Veranstalter reagiert kühl – es zählt der Profit.
Publiziert: 04.07.2010 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 15:26 Uhr
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Die Unfallstelle am Tag danach: Kurz nach dem Unfall geht das River-Rafting munter weiter.
Foto: Blick
Von Lorenz Honegger und Beat Michel

Tiefe Sorgenfalten ziehen sich durch die Stirn des Wilderswiler Gemeindepräsidenten Eduard Schild (62): Wieder hat ein Tourist in der Lütschine beim River-Rafting sein Leben verloren. «Langsam, aber sicher habe ich diese Unfälle satt», sagt Schild zu SonntagsBlick. Schon vor einem Jahr kamen zwei Frauen beim River-Rafting auf der Lütschine ums Leben.

Der jüngste Unfall geschah am Montag: Am Nachmittag steigt ein Saudi (31) in ein Schlauchboot der Outdoor Interlaken AG, eines Giganten unter den Adventure-Unternehmen im Berner Oberland. Mit ihm auf dem Fluss zwei Guides und zwölf Touristen, drei davon ebenfalls Saudis. In zwei Booten will die Gruppe die Lütschine runterraften. Dann, in der Mitte der Fahrt, fallen der Saudi und zwei seiner Landsmänner ins Wasser. Zwei können sich retten, er schafft es nicht. Über einen Kilometer weit treibt der Mann bewusstlos auf der Lütschine – er stirbt am selben Tag.

Für den Verwaltungsratspräsidenten von Outdoor Interlaken, Philippe Willi (27), scheint der Todesfall als Risiko zum Geschäft zu gehören: Zwar betonte er nach dem Unfall seine «tiefe Betroffenheit», trotzdem schickte er schon am Tag nach dem Drama wieder Guides mit Touristen den Fluss runter. «Wir haben uns nichts zuschulden kommen lassen und wir haben auch nichts zu verbergen», sagt der HSG-Absolvent. Sein Unternehmen arbeite seriös, und man habe alle nötigen Sicherheitszertifikate.

Über Willis Verhalten können viele Berner Oberländer nur den Kopf schütteln. «Das Canonying-Unglück von 1999 ist immer noch in unseren Köpfen präsent», sagt Gemeindepräsident Schild. Damals kamen 21 Touristen im Saxetbach ums Leben. Profitgier war in der Aufarbeitung des Dramas einer der Hauptvorwürfe gegen die verantwortlichen Adventure-Unternehmer.

Risiko gegen Profit scheint auch das Motto bei Outdoor Interlaken zu sein. So bezahlt Philippe Willi seine Guides nach wie vor pro Fahrt. Das heisst: Je mehr Touristengruppen ein Guide die Lütschine hinunterbringt, desto höher fällt sein Lohn aus. SonntagsBlick weiss: Wenn ein Outdoor-Guide besonders viele Trips durchführt, kann er monatlich bis zu 8000 Franken verdienen.

Das ist gefährlich, findet alt Nationalrat Paul Günter (67, SP), der sich seit Jahren mit Risikosportarten beschäftigt. «Man muss alle Anreize ausmerzen, welche einen Guide dazu bewegen könnten, wegen des Geldes ein höheres Risiko einzugehen», so Günter. Philippe Willi betont, dass die Guides ihren Lohn auch dann bekommen, wenn sie einen Trip wegen schlechten Wetters absagen. Trotzdem fordert Paul Günter einen «fixen Monatslohn für die Guides».

Nicht nur das Lohnsystem verbindet Outdoor Interlaken AG mit dem Canyoning-Drama von 1999: Im Outdoor-Verwaltungsrat sitzt Bernhard Steuri, der nach der Canyoning-Katastrophe von damals wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung zu einer bedingten Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Steuri ist bei Outdoor Interlaken als Geschäftsleitungsmitglied unter anderem für die «Sicherheit und das Risikomanagement» mitverantwortlich, wie Philippe Willi bestätigt.

Langsam schrumpft der Spielraum für die Adventure-Unternehmer: Anfang Juni hat der Ständerat einem Rahmengesetz für Risikosportarten zusgestimmt. Auch Gemeindepräsident Schild will Taten sehen. Er möchte 2011 die Einwasserungs-Bewilligung auf seinem Gemeindegebiet im Gemeinderat zum Thema machen: «Auch eine Ablehnung der Bewilligung muss diskutiert werden.»

Immer wieder Tote
Juli 1999 – Am Nachmittag des 27. Juli steigen acht Canyoning-Guides mit 45 Gästen oberhalb von Wilderswil BE in den Saxetbach. Urplötzlich schwillt der Bach wegen eines starken Gewitters zu einer gewaltigen Wasserwalze an. 18 Touristen und drei Führer von Adventure World sterben in den Fluten.

Juli 2003 – Ein Lehrer stürzt während eines River-Rafting-Trips mit seiner Klasse in die Lütschine und stirbt an Herzversagen.

Juli 2009 – Eine amerikanische und eine australische Touristin sterben beim River-Rafting auf der Lütschine.

Juni 2010 – Letzten Montag fallen ein Saudi (31) und zwei seiner Landsmänner während einer von Outdoor Interlaken organisierten Tour ins Wasser. Der Mann stirbt noch am selben Tag.
Juli 1999 – Am Nachmittag des 27. Juli steigen acht Canyoning-Guides mit 45 Gästen oberhalb von Wilderswil BE in den Saxetbach. Urplötzlich schwillt der Bach wegen eines starken Gewitters zu einer gewaltigen Wasserwalze an. 18 Touristen und drei Führer von Adventure World sterben in den Fluten.

Juli 2003 – Ein Lehrer stürzt während eines River-Rafting-Trips mit seiner Klasse in die Lütschine und stirbt an Herzversagen.

Juli 2009 – Eine amerikanische und eine australische Touristin sterben beim River-Rafting auf der Lütschine.

Juni 2010 – Letzten Montag fallen ein Saudi (31) und zwei seiner Landsmänner während einer von Outdoor Interlaken organisierten Tour ins Wasser. Der Mann stirbt noch am selben Tag.
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