Sex-Bestie von Interlaken
Nicht einmal Babys waren sicher vor ihm

Hansjürg S. betreute jahrelang Behinderte in Schweizer Heimen. Doch bei der Intimpflege konnte er «einfach nicht widerstehen».
Publiziert: 02.02.2011 um 00:25 Uhr
|
Aktualisiert: 30.09.2018 um 16:06 Uhr

Die Einladung der Berner Kantonspolizei verheisst nichts Gutes: Gestern kurz nach 13.30 Uhr bittet sie die Medien an eine Konferenz «im Zusammenhang mit einem Fall von sexuellem Missbrauch».

Drei Stunden später öffnet Christof Scheuer im Namen der Staatsanwaltschaft Bern das Tor zur Hölle: Hansjürg S.* (54), ein Sozialtherapeut aus Interlaken BE, hat gestanden, in den letzten 29 Jahren 114 Pflegebefohlene und Kinder sexuell missbraucht zu haben. Und es in acht weiteren Fällen versucht zu haben.

Tatort der Sex-Bestie: Fünf Behinderten-Heime im Kanton Bern, zwei in Appenzell Ausserrhoden, je eines im Aargau und in Süddeutschland.

Die Polizei hat bisher 122 Opfer identifiziert. Die meisten sind schwer geistig und oder körperlich behindert, die meisten junge Männer. Doch Hansjürg S. verging sich auch an Frauen, Kindern – sogar an Familienmitgliedern von Heimangestellten. Sein jüngstes Opfer war 1-jährig – ein Baby!

An einem Wochenende Ende März 2010 erzählen zwei männliche Bewohner des Behindertenheims Nische in Zofingen AG ihren Eltern, dass sie mit einem Betreuer sexuelle Kontakte hatten. Die Eltern wenden sich an die Heimleitung, diese konfrontiert Hansjürg S. mit den Vorwürfen. Er streitet alles ab. Als ihn die Polizei tags darauf, am 1. April, daheim festnimmt, gibt er zu, die Behinderten missbraucht zu haben. Mehrfach.

Es ist die erste von mehr als 50 Befragungen. Der bekennende Pädophile ist kooperativ, sagt, er sei froh, dass seine Verfehlungen ans Licht kämen. Er habe einfach nicht widerstehen können.

Die ersten Übergriffe begeht Hansjürg S. noch vor seinem ersten Heim-Job 1982. Sie sind verjährt, wie der grösste Teil der Fälle. Die Sex-Bestie kann noch für 33 Übergriffe zur Rechenschaft gezogen werden.

Der Betreuer wird im Heim zum Monster, vom Freund zum Feind. Während der Nachtwache oder bei der Intimpflege. Er betastet Behinderte an den Geschlechtsteilen. Zwingt sie zum Oral- und Analverkehr.

Nicht selten sucht Hansjürg S. seine Opfer mehrmals am gleichen Tag auf. Mit Ersatzwäsche lässt er die Spuren seiner Taten einfach in der Tasche verschwinden. 18 Fälle hält er selbst auf Fotos oder Videos fest.

Der Therapeut wechselt nicht nur seine Wäsche. In 29 Jahren wechselt er neun Mal den Arbeitsplatz. Klappert fünf Heime im Kanton Bern ab, darunter eines in Gümligen, wo er von 2002 bis 2008 arbeitet. 2003 wird gegen ihn ermittelt. Eine schwer geistig Behinderte (13) beschuldigt ihn und einen anderen Betreuer wegen Übergriffen.

Fachleute zweifeln an der Authentizität der Aussagen. Der Kollege wird schliesslich zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt – Hansjürg S. entgeht einer Strafverfolgung. Und hat so keine Vorstrafen wegen Sexualdelikten am Hals.

Jetzt wird in diesem Fall «natürlich erneut ermittelt», heisst es gestern. Eine Sonderkommission mit über 30 Teams will alle Opfer oder deren gesetzliche Vertreter persönlich informieren. Rund 100 Mann befassen sich mit dem Fall.

Die Polizei hat «aufgrund der grossen Zahl von Opfern» eine Hotline (031 634 34 34) eingerichtet. Das Care Team des Kantons ist aufgeboten.

Die Ermittlungen gegen Sex-Bestie Hansjürg S. könnten noch mehrere Monate andauern. Geprüft werden soll auch, «ob es bereits früher Hinweise auf Übergriffe in den Heimen gegeben hat».

*Name der Redaktion bekannt

Es berichten: Gabriela Battaglia, Kathia Baltisberger, Viktor Dammann, Raphael Diethelm, Ralph Donghi, Mario Gertschen, Sandro Inguscio, Beat Michel, Peter Pflugshaupt, Deborah Rast, Adrian Schulthess, Antonia Sell

2003 geriet der Therapeut zum ersten Mal in Verdacht
Bereits vor acht Jahren hatte es Hansjürg S.* (54) mit der Polizei zu tun. Damals arbeitete der Sozialtherapeut aus Interlaken BE im Heim Tannenhalde in Gümligen BE. Hier betreute er zwischen 2002 und 2008 die Schwächsten der Schwächsten, authistische und schwerstbehinderte Kinder.

Ein damals 44-jähriger Kollege von Hansjürg S. wird 2005 wegen sexuellen Handlungen mit Kindern und Schändung zu 6½ Jahren Gefängnis verurteilt. Der dreifache Familienvater hatte zwischen 1998 und 2002 zwei zwölf- und achtjährige schwerstbehinderte Mädchen während des Nachtdienstes missbraucht, vergewaltigt und geschändet. Von seinen Gräueltaten macht er Fotos und Videos – die ihn schlussendlich überführen.

Im Zuge der Untersuchungen beschuldigte ein 13-jähriges Mädchen auch Hansjürg S. wegen sexueller Übergriffe. Das Problem: Die 13-Jährige ist schwerstbehindert, kann sich kaum ausdrücken – nur schreiben. Man glaubte ihr nicht. Denn Hansjürg S. hatte hervorragende Zeugnisse, war nett und unauffällig. Er durfte weiter als Sozialtherapeut arbeiten. Ein fataler Fehler: Bis 2008 missbrauchte der pädophile Sozialtherapeut in Gümligen 20 Schwerstbehinderte, teils mehrfach – und niemand schöpfte Verdacht.
Bereits vor acht Jahren hatte es Hansjürg S.* (54) mit der Polizei zu tun. Damals arbeitete der Sozialtherapeut aus Interlaken BE im Heim Tannenhalde in Gümligen BE. Hier betreute er zwischen 2002 und 2008 die Schwächsten der Schwächsten, authistische und schwerstbehinderte Kinder.

Ein damals 44-jähriger Kollege von Hansjürg S. wird 2005 wegen sexuellen Handlungen mit Kindern und Schändung zu 6½ Jahren Gefängnis verurteilt. Der dreifache Familienvater hatte zwischen 1998 und 2002 zwei zwölf- und achtjährige schwerstbehinderte Mädchen während des Nachtdienstes missbraucht, vergewaltigt und geschändet. Von seinen Gräueltaten macht er Fotos und Videos – die ihn schlussendlich überführen.

Im Zuge der Untersuchungen beschuldigte ein 13-jähriges Mädchen auch Hansjürg S. wegen sexueller Übergriffe. Das Problem: Die 13-Jährige ist schwerstbehindert, kann sich kaum ausdrücken – nur schreiben. Man glaubte ihr nicht. Denn Hansjürg S. hatte hervorragende Zeugnisse, war nett und unauffällig. Er durfte weiter als Sozialtherapeut arbeiten. Ein fataler Fehler: Bis 2008 missbrauchte der pädophile Sozialtherapeut in Gümligen 20 Schwerstbehinderte, teils mehrfach – und niemand schöpfte Verdacht.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?