Am 1. April verhaftet die Polizei den alleinstehenden Hansjürg S.* (54) in seiner 3½-Zimmer-Wohnung in Interlaken BE. Den Kaufvertrag der Dachwohnung hat eine seiner beiden Schwestern unterschrieben.
«Sie haben ihm die Wohnung organisiert», sagt Nachbarin Vreni Finger (86) zu BLICK. «Er lebte etwa fünf oder sechs Jahre hier, war aber fast nie daheim.»
Hansjürg S. hat häufig Nachtwache – auf eigenen Wunsch. «Wenn ich ihn mal traf, hat er knapp gegrüsst», sagt Finger. «Er war nicht sehr gesprächig und hatte, abgesehen von seinen Schwestern, auch nie Besuch.»
Die Nachbarin berichtet von der riesigen Unordnung, in der Hansjürg S. unter dem gleichen Dach lebte. «Nach der Verhaftung kamen Spezialisten mit weissen Anzügen und Mundschutz vorbei, um die Wohnung zu räumen.»
Vreni Finger rümpft die Nase: «Er war immer sehr ungepflegt, roch seltsam», sagt sie.
Hansjürg S. wollte eigene Wohngruppe
Im Spätsommer 2009 spielt Hansjürg S. mit dem Gedanken, eine eigene Wohngruppe zu eröffnen. «Er interessierte sich für ein Einfamilienhaus in Schüpfen BE», sagt ein Immobilienmakler.
«Er wollte dort mit zwei oder drei schwer erziehbaren Jugendlichen einziehen. Er warte nur noch auf das Okay der Eltern, sagte er mir.»
Als der Makler im November 2009 nachhakt, winkt S. ab: «Es laufe eine Untersuchung gegen ihn, sagte er mir. Wegen Missbrauchsvorwürfen von Jugendlichen.»
«Hätte ich etwas merken müssen?»
Die letzte Station des Hansjürg S. ist eine Wohngruppe der Stiftung Nische in Zofingen AG. «Negativ fiel er uns nie auf», sagt eine Betreuerin.
Er kümmert sich mit ihr und zwei weiteren Therapeuten ab September 2009 um vier junge Behinderte. «Die mochten ihn. Auch bei uns war er beliebt, er half immer aus, wenn er konnte», sagt die Sozialtherapeutin. «Oft blieb er auch über Nacht im Haus Zofingen. Er hatte ja so weit heim nach Interlaken.»
«Damals machten wir uns keine Gedanken», sagt die Ex-Kollegin zu BLICK. «Heute frage ich mich immer wieder: Hätte ich etwas merken müssen?»
«Dieser Typ ist extrem krank»
«Wir sind natürlich froh, dass wir ihn stoppen konnten», erklärt Stiftungsratspräsident Ruedi Schärer (59). Die Stiftung stellt Hansjürg S. am 31. März 2010 zur Rede.
Zunächst streitet er alles ab. Am Tag darauf verhaftet ihn die Polizei. «Was jetzt alles herausgekommen ist – das ist eine Katastrophe. Dieser Typ ist extrem krank.»
*Namen der Redaktion bekannt