Es klingt paradox, ist seit dem Zweiten Weltkrieg aber Realität: Das Binnenland Schweiz ist eine Hochsee-Nation. Zurzeit befahren 48 Schiffe unter Schweizer Flagge die Weltmeere. Dabei hat keines von ihnen jemals seinen Heimathafen Basel gesehen – der Rhein kann von Hochseeschiffen nicht passiert werden.
Was die Flottenstärke angeht, belegt die Schweiz unter den 156 Ländern mit Handelsflotten Rang 70. Bundesbern ist das aber offenbar nicht genug, die eidgenössische Flotte soll weiter wachsen. Bis Juni sollen noch zwei weitere Schiffe hinzukommen. Das ist insofern bemerkenswert, als die Menge der auf dem Wasser transportierten Güter abnimmt.
Kreditrahmen um 500 Mio Franken aufgestockt
Für die Erneuerung und Vergrösserung der Flotte erhöhte das Parlament im Jahr 2008 den Kreditrahmen um 500 Millionen auf insgesamt 1,1 Milliarden Franken. Die Schweiz beteiligt zwar nicht direkt an der Finanzierung der hauseigenen Flotte, muss im Krisenfall aber in die Bresche springen. Der Anteil, den die Hochsee-Schiffahrt heute ans Bruttoinlandprodukt (BIP) leistet, fällt dagegen kaum noch ins Gewicht.
Laut Experten leidet die Branche seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 weltweit an Überkapazitäten. Hätten Eigner vor der Krise mit einem Frachter täglich 200'000 Dollar eingenommen, seien es seither noch 5000 Dollar, wie Branchenspezialist Ian Lewis gegenüber «Swissinfo» sagt. Er hält die Vergrösserung der Schweizer Handelsflotte daher für unnötig. «Es gibt zu viele Schiffe. Noch mehr zu bauen, hilft niemandem», so Lewis.
Schiffe zu kommerziellen Zwecken genutzt
Da drängt sich die Frage auf: Wozu braucht die Schweiz als Land ohne Meeresküste überhaupt eigene Schiffe? Gegründet wurde die Flotte 1941, als der Zweite Weltkrieg eskalierte; weil die Deutschen den Rhein blockierten, suchte der Bundesrat nach Alternativen zur wichtigsten Waren-Ader Europas.
Heute, 75 Jahre später, dienen die Schiffe im Krisenfall zwar noch immer der Landesversorgung, werden in Wirklichkeit aber zu kommerziellen Zwecken genutzt, sagt Beat Gujer, Chef vom Stab des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL), zu BLICK. «Man muss das im Gesamtzusammenhang sehen. Die Schweiz profitiert stark von anderen Hochsee-Nationen. Im Gegenzug bemüht sie sich um eine eigene starke Flotte.»
Private profitieren am meisten
Zur eidgenössischen Flotte zählen Containerschiffe ebenso wie Tanker, die von sechs privaten Reedereien betrieben werden. Diese müssen Bern versichern, im Falle einer Versorgungsknappheit ausschliesslich Fracht für die Schweiz an Bord zu nehmen.
Solange diese aber nicht eintrifft, profitieren die Privaten von den Privilegien der Schweizer Flagge: Als Ratifikationsland der maritimen Arbeitskonvention, die inzwischen weltweit obligatorisch ist, werden Schweizer Schiffe in manchen Häfen bevorzugt behandelt, was Zeit spart und Termine sichert. Das Erfüllen strenger Schweizer Vorschriften bringt zudem den Vorteil von zusätzlichen Bundes-Bürgschaften, die den Reedereien zu Krediten mit besseren Konditionen verhelfen.
Bisher ist von den Gesellschaften laut dem BWL noch nie eine Bürgschaft beansprucht worden. Ob das bei anhaltend sehr tiefen Frachttarifen und Überkapazitäten so bleibt, ist aber unklar. Der aktuelle Kreditrahmen von 1,1 Milliarden Franken läuft im nächsten Juni 2017 aus. Dann hat das Parlament das Steuer-Ruder erneut in der Hand.