Kurz zusammengefasst
- Der Kanton Bern will 5,5 Millionen für Gefängnis-container ausgeben, um Ersatzfreiheitsstrafen vollziehen zu können.
- Diese Haftstrafen sind umstritten, da sie vor allem Mittellose treffen, die kleine Bussen nicht bezahlen können.
- Betroffen sind vor allem notorische Schwarzfahrer, die immer wieder hinter Gitter landen.
Zwei Tage musste Nici (38) im Januar im Regionalgefängnis Bern absitzen. Ihr Vergehen: eine Busse über 200 Franken wegen Schwarzfahrens, die sie nicht bezahlen konnte. «Ich bin eine routinierte Schwarzfahrerin», sagt Nici, die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will.
Die Bernerin lebte bis vor kurzem auf der Gasse und ist von der Sozialhilfe abhängig. Die teuren Bustickets könne sie sich nicht leisten, sagt sie. Und landete deshalb im Knast. «Die Nacht geht, aber die Tage dauern ewig, da gehst du fast drauf.»
Wie Nici ergeht es jedes Jahr Tausenden. 8540 Personen wurden 2022 in den Schweizer Straf- und Massnahmenvollzug eingewiesen. 4472 mussten hinter Gitter, weil sie eine Geldstrafe oder Busse nicht bezahlen konnten. Mehr als jeder zweite Haftantritt erfolgte 2022 also wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe.
Die meisten Betroffenen bleiben zwar wie Nici nur wenige Tage im Bau. Doch die Belastung für Gefängnisse und Staatskasse ist gross.
5 Millionen für Gefängniscontainer
Besonders zu spüren bekommt das derzeit der Kanton Bern. Die Gefängnisse sind seit Monaten ausgelastet oder überbelegt. 120 der insgesamt gut 900 Zellen werden durchgehend für den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafen gebraucht. Doch das reicht nicht: Wegen einer IT-Panne stapeln sich in Bern nicht bezahlte Bussen und Geldstrafen, die zu verjähren drohen.
Der Kanton Bern will deshalb mit Gefängniscontainern 40 zusätzliche Haftplätze für den Vollzug von Kurzstrafen schaffen. Kostenpunkt: 5,5 Millionen. Nächste Woche entscheidet das Kantonsparlament über den Kredit.
Jonas Weber (55), Strafrechtsprofessor an der Universität Bern, kritisiert die Pläne als «unverhältnismässig». Die Investition stehe in keinem Verhältnis zum geringen Verschulden, das den Ersatzfreiheitsstrafen zugrunde liege, sagt er. Weber plädiert stattdessen dafür, die Strafen bewusst verjähren zu lassen.
«Ein fatales Präjudiz»
Eine Forderung, die bei der Berner Sicherheitsdirektion von Philippe Müller (61) nicht gut ankommt. Die Kantone seien gesetzlich verpflichtet, alle Strafen zu vollziehen, schreibt sie auf Anfrage, was Bern auch tun werde.
Müller hatte bereits bei der Präsentation der Containerlösung gewarnt, dass ein bewusstes Verjährenlassen ein fatales Präjudiz wäre. «Mit Verweis auf diese Fälle würde niemand mehr eine Geschwindigkeitsbusse bezahlen», sagte der FDP-Mann gegenüber der «Berner Zeitung».
Ein Argument, das für Strafrechtsexperte Weber am Kern des Problems vorbeizielt. Betroffen seien meistens nicht renitente Bussenverweigerer, sondern Personen in finanziell prekären Situationen, die ihre Strafe nicht begleichen könnten. «Mit Ersatzfreiheitsstrafen wird erfolglos versucht, Armutskriminalität zu bekämpfen.»
«Alle paar Monate im Hotel Gitterblick»
Weber berichtet von Obdachlosen, die bereits Dutzende Ersatzfreiheitsstrafen allein wegen Schwarzfahrens abgesessen hätten. Nici sagt, auf der Gasse in Bern seien Strafbefehle an der Tagesordnung. «Einige verschwinden alle paar Monate im Hotel Gitterblick.»
Der Gesetzgeber sollte künftig unterscheiden zwischen Personen, die nicht bezahlen können und solchen, die nicht bezahlen wollen, fordert Weber. «Haft ist bei kleinen Bussen für Bagatellen wie geringfügige Vergehen im Strassenverkehr oder Urinieren am Bahnhof nicht angebracht. Der Staat müsste sich hier mehr zurücknehmen.»
Dass Ersatzfreiheitsstrafen die Schwachen trifft, ist dem System geschuldet: Dem Vollzug einer Busse oder Geldstrafe im Gefängnis gehen Mahnungen und ein Betreibungsverfahren voraus. Erst, wenn der geschuldete Betrag nicht einzubringen ist, kann Haft angeordnet werden.
Die Delikte, die den Ersatzfreiheitsstrafen vorausgehen, werden allerdings statistisch nicht erfasst. Eine Studie im Auftrag des Zürcher Amts für Justizvollzug kam 2019 zum Schluss, dass 40 Prozent der Fälle das Personenbeförderungsgesetz betreffen, ein Viertel das Strassenverkehrsgesetz.
Schwarzfahren führt laut der Studie besonders oft zu Ersatzfreiheitsstrafen, weil es keine finanziellen Mittel voraussetze. Wer hingegen Zugang zu einem Auto habe, sei eher in der Lage, eine fällige Busse zu bezahlen.
Die Drohkulisse wirkt
Die Behörden verweisen gerne auf den Erfolg der Ersatzfreiheitsstrafe als Drohkulisse. Im Kanton Bern bezahlten in den letzten Jahren laut der Sicherheitsdirektion bis zu 80 Prozent der Betroffenen ihre Busse kurz vor oder nach Strafantritt doch noch, um dem Gefängnis zu entgehen. Daraus resultierten für den Kanton jährlich Einnahmen von fünf bis sechs Millionen Franken. Das federt die Kosten für den Vollzug der restlichen Kurzstrafen zumindest ab.
Für Nici ist das Thema Gefängnis nicht abgeschlossen. Viermal habe man sie in diesem Jahr bereits beim Schwarzfahren erwischt, sagt sie. Der nächste Strafbefehl ist eine Frage der Zeit. Sie wisse, dass sie selber schuld sei, wenn sie ohne Ticket in den Bus steige, sagt Nici. «Aber irgendwie muss ich abends nach Hause.»