Korruptionsvorwürfe beschäftigen die Verwaltung von Biel BE. Die Stadt hat zwei Mitarbeiter des städtischen Patrouillendienstes SIP (Sicherheit, Intervention, Prävention) wegen Bestechlichkeit angezeigt, wie sie vergangene Woche bekannt gegeben hat. Ein Mitarbeiter soll einer Migrantin Papiere im Tausch gegen sexuelle Dienstleistungen versprochen haben – worauf die Frau jedoch nicht eingegangen ist. In einem zweiten Fall soll ein Beamter von einer Migrantin Geld verlangt haben für das Versprechen, schnell und unkompliziert an eine Aufenthaltsbewilligung zu kommen. Die mutmasslichen Straftaten liegen bereits einige Zeit zurück, wurden der Stadt aber erst im letzten November gemeldet. Einer der Beschuldigten wurde freigestellt, der andere arbeitet bereits nicht mehr bei der Stadt. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Dass die beiden Fälle im Umfeld der städtischen Migrationsbehörde stattgefunden haben, lässt aufhorchen. Der Migrationsdienst ist seit Jahren überlastet, wie Medien immer wieder berichtetet haben. Ausländerinnen und Ausländer, die ihre Aufenthaltsbewilligung verlängern wollen, müssen oft so lange auf einen Bescheid warten, dass die alte Bewilligung längst abgelaufen ist. Ohne gültige Papiere geraten sie in eine Notsituation – das haben die beiden beschuldigten Beamten mutmasslich ausgenutzt.
Davon geht zumindest die seit April 2023 zuständige Bieler Sicherheitsdirektorin Natasha Pittet aus. «Würde alles gut laufen, gäbe es keine Grundlage, Geld oder sexuelle Gefälligkeiten für einen Ausweis zu verlangen», sagt die Freisinnige. Die Beschuldigten hatten überhaupt erst nur Einsicht in die Dossiers der Migrantinnen, weil die SIP wegen Personalmangel im Migrationsdienst aushelfen muss. Die versprochenen Ausweise hätten sie selber gar nicht ausstellen können.
Fehlt der Wille?
Die Überforderung des Migrationsdienstes ist vor allem wegen politischer Auseinandersetzungen im Stadtparlament seit Jahren gut dokumentiert. Bereits 2015 lagen über 1000 unbearbeitete Dossiers für Ausweisverlängerungen auf dem Pendenzenberg des Amts. Die linken Parteien warfen SVP-Mann Beat Feurer vor, dass es ihm an politischem Willen fehle, wirklich etwas an der Situation im Migrationsdienst zu ändern. Feurer stand der Bieler Sicherheitsdirektion von 2013 bis 2023 vor, ehe er in die Finanzdirektion wechselte.
Untätig war Feurer im Migrationsbereich nicht. Er hat mehrere Reorganisationen angeordnet, der Stellenetat wurde zwischen 2015 und 2022 von neun auf 18 Vollzeitstellen verdoppelt. Doch das reichte nicht – auch weil die Aufgaben komplexer wurden. Der Pendenzenberg bestand deshalb nie aus weniger als 800 Anträgen und wuchs zuletzt wieder bedrohlich an: Ende 2023 waren 1400 Anträge auf Ausweisverlängerung pendent.
Die Belegschaft flüchtet
Das ging auch an den Angestellten nicht spurlos vorbei. Die Krankheitsfälle nahmen in den letzten Jahren zu. 2023 hat ein Drittel der Belegschaft die Migrationsbehörde verlassen – ein regelrechter Exodus, den die Sicherheitsdirektion «hauptsächlich auf die übermässig hohe Arbeitsbelastung» zurückführt. Letzten Sommer musste gar der Telefondienst wegen Personalmangel kurzzeitig eingestellt werden.
Was ist los im Bieler Migrationsamt?
Dokumente, die Blick gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip vorliegen, zeigen, wie prekär die Zustände auf dem Einwohneramt bereits 2015 waren. Zum Beispiel legte ein umfassender Bericht des Beratungsunternehmens Deloitte 2016 dar, dass der Migrationsdienst zu wenig Personal hatte, um die Aufgaben zu erfüllen. Die Prozesse seien zu kompliziert, die Digitalisierung ungenügend. Bis 2020 sollten mit einer Reorganisation die Rückstände aufgeholt, die Wartezeiten normalisiert und die digitale Transformation abgeschlossen sein.
Der Reformbedarf war dringend: Aus einem Bericht der Sicherheitsdirektion zur Deloitte-Studie geht hervor, dass die Stadtkanzlei damals zum Schluss kam, dass «die Einwohnerdienste nicht mehr ordentlich funktionieren». In einem solchen Fall müsste der Kanton als Aufsichtsbehörde eingreifen, wenn die Stadt nicht in nützlicher Frist Abhilfe schaffen kann.
Während man bei den Einbürgerungsgesuchen Probleme lösen konnte, führte die Reorganisation im Migrationsamt nicht zu deutlichen Verbesserungen. Mehr noch: Die Stadtkanzlei stellte in den letzten Jahren wiederholt infrage, ob der Migrationsdienst rechtmässig funktioniert, wie sie auf Anfrage bestätigt. Der Kanton als Aufsichtsbehörde hat aber nie interveniert. Das könnte sich jetzt ändern: Im Dezember mahnte die Berner Regierung erstmals, dass man eingreifen werde, sollte sich die Situation nicht rasch bessern.
Doch der zweite Deloitte-Bericht von Ende 2023 zeigt, dass das Hauptproblem im Migrationsamt weiterhin der Personalmangel und die zu hohe Arbeitslast ist. Die Digitalisierung funktioniert weiterhin nicht. Zwar wurde eine elektronische Datenverarbeitung eingeführt, diese hat gemäss Sicherheitsdirektion die Prozesse aber nicht wesentlich vereinfacht. Mit den jetzigen Ressourcen könne die Situation höchstens stabilisiert, nicht aber verbessert werden.
Verbesserungsvorschläge werden ignoriert
Dass sich die Situation im Bieler Migrationsamt heute trotz mehrerer interner und externer Analysen und Anpassungen schlimmer präsentiert als vor acht Jahren, sorgt in der Stadtpolitik für Unmut. SP-Parlamentarierin Anna Tanner kritisiert auf Anfrage, dass die Sicherheitsdirektion Verbesserungsvorschläge ignoriert und geforderte Berichte zu den Missständen bis heute nicht geliefert habe. Die mutmasslichen Korruptionsfälle, sagt Tanner, hätten verhindert werden können, wenn früher hingeschaut worden wäre.
Hätte man früher erkennen müssen, dass die Reorganisation 2015 gescheitert ist? Fragen dazu beantworten weder Feurer noch Stadtpräsident Erich Fehr (SP). Die Stadtregierung hat beschlossen, dass nur Natasha Pittet Auskunft gibt. Sie hat mehrere Untersuchungen in Auftrag gegeben und kam zum Schluss: Es besteht dringender Handlungsbedarf. Sie hat deshalb eine umfassende Reorganisation beantragt. Die Regierung hat 200'000 Franken unter anderem für die Begleitung durch ein externes Büro gesprochen.
Sie wolle nicht einfach einen weiteren Bericht auf Papier, sagt Pittet, sondern einen Kulturwandel. Sie steht nach Bekanntwerden der Korruptionsvorwürfe und des Beinahe-Zusammenbruchs des Migrationsdienstes im letzten Sommer unter Druck. Pittet hat aber durchaus Handlungsspielraum: Mehrere langjährige Chefbeamte im Bereich Migration gehen demnächst in Pension. Eine günstige Gelegenheit, um nochmals neu anzufangen.