Sie hat alles genau geplant: Im Januar 2020 will Jacqueline Jencquel (74) in Saanen BE ein letztes Familienfest mit ihrem Ehemann und den drei gemeinsamen Söhnen feiern. Ein letztes Mal zusammen essen und trinken, ein letztes Mal miteinander reden. Dann will sie sterben.
Eine Ärztin der Sterbehilfeorganisation Lifecircle soll ihr eine tödliche Dosis des Schlafmittels Natriumpentobarbital spritzen. Dabei ist die Französin weder schwer krank, noch muss sie in den nächsten Jahren einen einschneidenden Verlust an Lebensqualität befürchten.
«Ich habe mein Leben in vollen Zügen genossen»
Aber Jencquel ist fest entschlossen, mit 76 Jahren freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Sie habe sich das reiflich überlegt, sagt sie zur Zeitung «Le Temps». Denn für sie ist das Alter nichts anderes als «eine unheilbare Krankheit, die in jedem Fall tödlich ist.» Und mit 76 könne man nicht mehr wirklich gesund sein. Sie merke das bereits jetzt an ihrem Sexleben.
Dass sie ihre Entscheidung noch hinterfragen wird, denkt sie nicht: «Ich habe mein Leben ausgekostet, es in vollen Zügen genossen», erklärt sie. Nun wolle sie sterben, bevor sie das Alter zu spüren bekomme. «Ich will es nicht so weit kommen lassen, dass ich statt Leidenschaft nur noch Mitleid erwecke.»
Debatte in Frankreich
In Interviews und ihrem Blog spricht sie ausführlich über ihre Entscheidung. Zusätzlich wird einer ihrer Söhne, ein Dokumentarfilmer, die letzte Reise seiner Mutter verfilmen. Dass sie das Ganze derart öffentlich ausschlachtet, hat in der französischen Öffentlichkeit zu einer Debatte geführt.
Ihre Unterstützer sehen in ihr eine mutige, selbständige Frau, die ihr Lebensende selbst in die Hand nimmt, bevor sie zur Gefangenen im eigenen Körper wird. Kritiker werfen Jencquel andererseits vor, dass sie ihr Leben aus rein oberflächlichen Gründen beendet, und sehen in ihrer Aktion nichts anderes als einen Publicity-Stunt. Denn die 74-Jährige ist Vizepräsidentin einer Aktivistengruppe, die seit Jahren aggressiv für die Legalisierung der Sterbehilfe in Frankreich lobbyiert.
«Ihr Leben ist wie ein Buch»
Auch ihre Familie ist geteilter Meinung. Ihr jüngster Sohn kann den Entscheid seiner Mutter nicht verstehen. Ihr Ehemann Jürgen unterstützt sie aber. Er will ihr keine Steine in den Weg stellen. «Ihr Leben ist wie ein Buch» sagt er zu «Le Temps». «Sie hat es auf der ersten Seite aufgeschlagen, und sie wird es nach der letzten selber wieder schliessen.» (krj)