Darum gehts
Marin T.* (†21) hatte sein ganzes Leben vor sich, als er in den BMW M4 seines Kollegen Haris S.* (24) stieg. Er sass an diesem Tag im Oktober 2022 auf dem Beifahrersitz, während Haris S. Vollgas gab, die Kontrolle verlor. Marin T. wurde so schwer verletzt, als der BMW in einen Betonpfeiler donnerte – er stirbt. Fahrer Haris S. überlebte.
Am Donnerstag sprach das Bezirksgericht Burgdorf BE den 24-jährigen Autofahrer wegen fahrlässiger Tötung und Gefährdung des Lebens schuldig. Drei Jahre Gefängnis! Ein Jahr davon unbedingt, den Rest nur, wenn er in den nächsten fünf Jahren noch einmal straffällig wird. Der Richter sprach von einer zweiten Chance. «Wir glauben dir, dass du Marin nicht töten wolltest», sagte er an der Urteilsverkündung.
Für die Familie und Freunde von Marin T. ist der Entscheid ein Stich ins Herz. «Haris‘ Familie wird ihn ein Jahr nicht sehen. Doch Marin wird nie wieder bei uns sein», sagte eine Verwandte unter Tränen zu Blick.
Haris S. gab Opfer indirekt die Schuld
Zahlreiche Angehörige des Verstorbenen haben dem Prozess am Dienstag beigewohnt. Sie mussten still zuhören, wie Haris S. über Marin T.s Fahrstil herzog, dem Verstorbenen sogar indirekt die Schuld zuschob. Er könne sich nicht erinnern, wer am Abend des Unfalls gefahren sei, sagte der Beschuldigte. «Aber der Fahrstil vor dem Unfall passt nicht zu mir, sondern mehr zu Marin T.»
Doch Fakt ist: Haris S. hat zahlreiche Vorstrafen wegen zu hoher Geschwindigkeit oder gefährlichen Überholmanövern. «Er definierte sich über sein Auto», sagte die Staatsanwältin. Haris S. hingegen beteuerte, aus den früheren Urteilen gelernt zu haben. Zum Zeitpunkt des Unfalls sei er anderen gegenüber viel mehr ein «Moralprediger» gewesen. Gerade, wenn es ums Rasen gegangen sei.
Opfer-Familie hoffte auf Reue
Sein Verteidiger kritisierte die Ermittler: Die Polizei habe seinen Mandanten vorverurteilt. Der Zeuge, der ihn am Steuer des BMWs gesehen habe, sei unglaubwürdig. Und im Übrigen habe der Verstorbene nach dem Unfall auf der Mittelkonsole gelegen, nicht direkt auf dem Beifahrersitz. «Entsprechend ist nicht bewiesen, dass Haris S. gefahren ist», sagte der Verteidiger und forderte einen Freispruch.
«Schämen Sie sich nicht?», fragte ein Angehöriger von Marin T. den Verteidiger nach der Urteilsverkündung. «Einem Toten die Schuld zu geben, der sich nicht verteidigen kann?» Der Anwalt verliess das Gericht wortlos. Die Staatsanwältin bat die Freunde und Verwandten von Marin T., zu warten, bis Haris S. und seine Familie weg waren. «Nicht, dass es noch eine Schlägerei gibt», sagte sie.
Die Trauer um das junge Opfer, das angestaute Leid – ein Verwandter von Marin T. sagte zu Blick: «Wir haben einfach gehofft, dass Haris S. hinsteht und Verantwortung übernimmt, Reue zeigt.»
Die Strafe sei zu gering ausgefallen, so der Verwandte. Gerade weil der Todesfahrer keine Einsicht zeige, sich nie entschuldigt habe. «Der Unfall war vielleicht Schicksal. Doch wie er alles abstreitet, die Schuld wegschiebt – dieser Mann hat keine Ehre.»
Das Urteil gegen Haris S. ist noch nicht rechtskräftig. Die Parteien müssen nun entscheiden, ob sie den Fall ans Obergericht weiterziehen möchten.
* Namen geändert
36 Monate Haft wegen fahrlässiger Tötung
Das Gericht spricht Haris S. (24) wegen fahrlässiger Tötung, Gefährdung des Lebens und schwerer qualifizierter Verkehrsregelverletzung schuldig. Ihm wird eine Haftstrafe von 36 Monaten auferlegt, wovon er 12 absitzen muss. Die Probezeit für die verbleibenden 24 Monate setzt das Gericht auf 5 Jahre an.
Die Verfahrenskosten muss Haris S. übernehmen. Den Eltern des verstorbenen Marin T. muss er zudem eine Entschädigung von über 8400 Franken zahlen.
Richter wendet sich an Haris S.
«Wir glauben dir, dass du Marin nicht töten wolltest», wendet sich der Gerichtspräsident an Haris S. (25). Deshalb habe man sich auch für eine fahrlässige Tötung entschieden. «Mit der teilbedingten Strafe geben wir dir eine zweite Chance. Nutze sie!»
Damit schlisst der Gerichtspräsident die Urteilsverkündung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Haris S. fuhr nach Unfall wieder ohne Gurt!
Der Gerichtspräsident sagt, man habe die Strafe erhöht, weil die Einsicht nicht wirklich gegeben sei. So sei Haris S. ein halbes Jahr nach dem tödlichen Unfall im Herbst 2022 wieder ohne Gurt gefahren, wie TikTok-Videos zeigen.
Warum keine vorsätzliche Tötung?
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Tötung gefordert. Das Gericht geht hingegen davon aus, dass Haris S. den Tod seines Kollegen nicht bewusst in Kauf genommen. «Natürlich ist er völlig unnötige Risiken eingegangen», sagt der Gerichtspräsident.
Man habe andere Urteile wegen vorsätzlicher Tötung bei Verkehrsunfällen angeschaut. «In diesen Fällen waren noch zahlreiche weitere Risikofaktoren vorhanden, die hier nicht gegeben sind.» Deshalb habe man sich schliesslich für fahrlässige Tötung entschieden.
Haris S. sei «zweifelsfrei» gefahren
Haris S. hatte mehrmals erwähnt, er habe eine Gedächtnislücke und könne sich nicht erinnern, am Steuer gesessen zu haben. Der Fahrstil, der zum Unfall führte, passe aber nicht zu ihm, sondern viel eher zum Verstorbenen Marin T. (†21).
Das Gericht hält diese Aussagen nicht für glaubwürdig. Es sei zweifelsfrei erstellt, dass Haris S. zum Unfallzeitpunkt gefahren sei und Marin T. auf dem Beifahrersitz gesessen habe.
Ungeklärt bleibt die Frage, wer das dynamische Stabilisierungssystem ausgeschaltet hat. Das Gericht erkennt die Möglichkeit an, dass Marin T. die Funktion ausgeschaltet haben könnte, bevor Haris S. das Steuer übernahm. «Doch selbst dann müssen ihm die zahlreichen Warnlämpchen aufgefallen sein, die aufleuchten, wenn das Stabilisierungssystem ausgeschaltet ist», erklärt der Gerichtspräsident.
Das war Hauptgrund für den Crash
Weiter stützt das Gericht den Unfallbericht: Hauptgrund für den Crash sei überhöhte Geschwindigkeit und das Ausschalten des dynamischen Stabilisierungssystems gewesen.
Vorwürfe des Verteidigers zurückgewiesen
Der Richter lobt die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Es sei alles sorgfältig erhoben und untersucht worden.
Während des Prozesses am Dienstag hat Haris S.s Verteidiger die Ermittler scharf kritisiert. Sein Mandant sei vorverurteilt worden. Es sei nicht klar erwiesen, dass Haris S. überhaupt gefahren sei.
Diese Vorwürfe weist das Gericht entschieden zurück. Es sei alles korrekt gelaufen. Die Staatsanwaltschaft habe glaubwürdig belegen können, dass Haris S. am Steuer gesessen habe.
«Fahrverhalten war krass unvernünftig»
Nun begründet der Gerichtspräsident das Urteil. «DIeser Fall hat nichts mit ein bisschen zu schnell fahren zu tun», sagt er. «Es ist ein Fahrverhalten, das krass unvernünftig und verantwortungslos war.»
Grosses Interesse
Wie schon am Prozess sind zahlreiche Zuschauer zur Urteilsverkündung erschienen. Der Gerichtspräsident eröffnet das Urteil.
Bald wird das Urteil eröffnet
Die Urteilsverkündung ist auf 15 Uhr angesetzt. Beim Prozess am Dienstag forderte die Staatsanwaltschaft, dass Haris S. (24) wegen vorsätzlicher Tötung zu 6 Jahren Haft verurteilt wird. Die Verteidigung plädierte auf Freispruch. Das Gericht könnte ihn auch wegen fahrlässiger Tötung schuldig sprechen. Etwa wenn es davon ausgeht, dass Haris S. sich der Gefahr seines Handelns nicht ganz bewusst war.
So lief der Prozess gegen Haris S.
Der Prozess gegen Haris S. (24) war auf drei Tage angesetzt. In Wirklichkeit dauerte er nur einen halben. Überraschend war die Strategie der Verteidigung: Sie stritt ganz grundsätzlich ab, dass der Angeklagte am Unfall schuld sei.
Entsprechend weit driften Staatsanwaltschaft und Verteidigung auseinander. Staatsanwältin Mirjam Herzig zitierte aus dem Unfallbericht, wie übermässig schnell Haris S. unterwegs war, als er die Kontrolle über den PS-starken BMW verlor.
Beifahrer oder Fahrer
Sie zeichnete das Bild eines jungen Mannes, der sich beweisen, mit dem Sportschlitten seines Vaters Eindruck machen wollte. Haris S. wurde in der Vergangenheit bereits wegen überhöhter Geschwindigkeit und gefährlichen Überholmanövern verurteilt.
Die Verteidigung versuchte, am ganz Grundsätzlichen Zweifel zu säen. Anwalt Samuel Gruner kritisierte, es gebe keine Beweise, dass Haris S. zum Unfallzeitpunkt überhaupt gefahren sei. Er pickt einzelne Stellen aus dem Unfallbericht und den Zeugenaussagen heraus, kommentiert sie als vorverurteilend oder unglaubwürdig.
Gemäss diesem Bericht war das Ausschalten des dynamischen Stabilisierungssystems am BWM eine der Hauptursachen für den Crash. Auch hier zankten sich Anklage und Verteidigung. Die Staatsanwältin sagt, es müsse Haris S. gewesen sein, der die Funktion deaktivierte. Die Verteidigung streitet das ab.
Freispruch oder 6 Jahre Knast
Und was sagt der Angeklagte? Haris S. kann sich nicht erinnern. Nur daran, dass sein Freund, der Verstorbene Marin T. gefahren sei und er ihn vor einer Schwelle gewarnt habe. Dann: Blackout. Er beteuert: «Der Unfallhergang passt überhaupt nicht zu meinem Fahrstil.» Vorstrafe hin oder her.
Sein Verteidiger fordert einen Freispruch, die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von 6 Jahren. Das Urteil wird am Donnerstag um 15 Uhr verkündet.