Der schwerstbehinderte Daniel Reist (27) muss aus dem Heim in Ringgenberg BE
Bern spart auf dem Buckel der Schwächsten!

Daniel Reist wurde aus einem rumänischen Elendskinderheim gerettet. Nun droht ihm die Abschiebung in die Psychiatrie.
Publiziert: 21.10.2013 um 00:00 Uhr
|
Aktualisiert: 28.09.2018 um 16:33 Uhr
1/10
Besorgte Eltern: Martin und Ute Reist haben Angst um die Zukunft ihres behinderten Sohns Daniel.
Foto: Peter Gerber
Von Daniel Riedel

Strahlend öffnet Daniel Reist (27) den Mund und lässt sich füttern. Heute gibt es Spaghetti, sein Lieblingsessen. Der Behinderte geniesst die unbeschwerten Stunden bei seinen Eltern Martin (54) und Ute (54) in Wasen BE. Der Garagist und seine Frau sind für einen kurzen Moment glücklich. Obwohl ihnen sonst zum Heulen zumute ist. Sie sorgen sich um die Zukunft ihres rumänischen Adoptivsohns.

Wegen der Sparmassnahmen des Kantons Bern muss die Behinderteneinrichtung Sonnenblick in Ringgenberg BE schliessen. «Das ist eine Katastrophe. Wo sollen wir denn mit unserem Sohn hin?», fragt Martin Reist.

Unvergessliche Schicksale

Vater und Adoptivsohn verbindet eine besondere Beziehung. Anfang der 90er-Jahre reist der Berner mit der Heilsarmee nach Rumänien. Er hilft bei der Sanierung der Kinderheime, die vom Ceausescu-Regime unter menschenunwürdigen Bedingungen betrieben worden waren. Martin Reist sieht Schicksale, die er nie mehr vergessen kann.

Der Garagist erinnert sich: «Damals fuhr ich alle zwei Wochen runter. Es waren unbeschreibliche Zustände.» Bei seinem letzten Besuch fällt ihm ein weinender Junge auf. Es ist der damals vier Jahre alte Daniel.

Daniel wird zum Pflegefall

«Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich spürte, dass ich den Buben nicht allein lassen darf», sagt Martin Reist. Obwohl er schon drei leibliche Kinder hat, entschliesst er sich zur Adoption. 1992 kommt Daniel in die Schweiz. «Anfangs war er sehr verschreckt, hatte Angst. Doch langsam verbesserte sich sein Zustand. Er wurde von seinen Geschwistern und der Verwandtschaft wunderbar aufgenommen», sagt Mutter Ute. Doch die Jahre im rumänischen Heim haben Spuren hinterlassen: Daniel hat eine schwere geistige Behinderung. Er fängt an, sich selbst zu schlagen – und wird zum Pflegefall.

«Wir haben uns rund um die Uhr um ihn gekümmert. Die Kinder und ich im Dauerwechsel. Tag für Tag, Woche für Woche», sagt Ute Reist. Irgendwann kann die Familie nicht mehr. Nach langer Suche finden sie im Kanton einen Pflegeplatz.

2002 zieht Daniel ins Behindertenheim Sonnenblick in Ringgenberg. «Er lebte sich gut in die Wohngruppe ein, blühte richtig auf. Wir wussten ihn in guten Händen», sagt Martin Reist.

Stellenabbau und Schliessung

Seit September ist alles anders. Per Einschreiben informiert die Stiftungsleitung die Familie über die Sparmassnahmen des Kantons – und kündigt Daniel per 28. Februar 2014 den Heimplatz. Ebenso wie 15 anderen Bewohnern und rund 50 Pflegekräften. «Ich war geschockt, als ich den Brief in den Händen hielt. Man kann Behinderte doch nicht einfach so vor die Tür setzen», sagt Vater Martin.

Findet Daniel keinen neuen Platz im Kanton, droht ihm die psychiatrische Klinik. Seine Pflegerin ist alarmiert: «Dort würde er unter schwere Medikamente gesetzt, an Armen und Beinen festgebunden. Von echter Betreuung kann keine Rede mehr sein.»

Ein Horrorszenario, das Familie Reist um den Schlaf bringt. Claus Detreköy (42), Amtsleiter in der Gesundheits- und Fürsorge­direktion des Kantons Bern, hingegen rechnet vor: «Die kantonale Finanzlage sieht jährliche Einsparungen von 400 Millionen Franken vor. Davon im Behindertenbereich 28,7 Millionen.»

Der Sparhammer trifft die Stiftung Sunneschyn, die das Heim Sonnenblick betreibt, ohne Vorwarnung. Geschäftsführer Heinz Witschi (61): «Der Rückgang der Kantonsbeiträge muss im Personalbereich kompensiert werden.» Das heisst konkret: Stellenabbau und Schliessung des Standorts Ringgenberg. Der Berner Grosse Rat entscheidet im November über die Einsparungen. Daniel Reist hofft auf ein Einlenken. Er lebt gern im Sonnenblick.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?